Im Namen der Dose: Das Geheimnis der legendären Nuri-Konserven
Österreich liegt am Meer. Glaubt man zumindest, wenn man im Nuri-Shop in der Wiener Innenstadt steht. Hier dreht sich alles um die berühmteste Sardine Portugals – und inmitten der Kult-Dosen mit dem unverkennbaren Nuri-Schriftzug vermitteln Flip-Flops, T-Shirts und Schirmkappen: einmal ums Eck, und schon sei man am Strand von Matosinhos. Jener Hafenstadt also, in der die legendäre Sardinen-Saga der Firma Pinhais vor über 100 Jahren begann. In Wahrheit trennen aber freilich rund 3000 Kilometer den Wiener Shop von der altehrwürdigen Fabrik.
Doch es ist kein Zufall, dass man ausgerechnet in Wien dieser Sardine huldigt. Denn: Nuri gehört Jakob Glatz. Der gebürtige Wiener ist Geschäftsführer der Firma Glatz. Er führt das renommierte Unternehmen für Import und Vertrieb von Lebensmitteln in vierter Generation. „Mein Großvater hat bereits mit dem Import der Nuri-Sardinen nach Österreich begonnen“, sagt er.
Als die Firma Pinhais in eine wirtschaftliche Schieflage geriet, übernahm Glatz die geschichtsträchtige Konservenfabrik gleich ganz. Und wie nur wenige kennt er den aufwendigen Produktionsprozess hinter diesen hochwertigen Sardinendosen. In seinem neuen Buch „Das große Nuri Sardinen Kochbuch“ setzt er seiner Leidenschaft für die Sardine ein beeindruckendes Denkmal. Auch, indem er zeigt, was man mit einer Dosensardine alles anstellen kann. Und das jenseits von Salat und Butterbrot.
Höchste Zeit also, sich von der Wiener Innenstadt ins dreieinhalb Flugstunden entfernte Porto zu begeben – von dort sind es keine zehn Kilometer nach Matosinhos – und diversen Fragen auf den Grund zu gehen: Wie kommt eine Sardine von der Küste in die Dose? Was macht eine Sardinendose so besonders? Was kann man damit alles machen? Und was hat es wirklich mit den sogenannten Jahrgangssardinen auf sich?
Von Männern und Frauen
Betritt man die ehrwürdigen Fabrikhallen von Pinhais, scheinen die vergangenen hundert Jahre spurlos am gekachelten Bau der 1920er-Jahre vorbeigegangen zu sein. Keine Fließbänder. Keine Fertigungsstraßen. Keine überdimensionalen Maschinen. Stattdessen: Menschen, die geschäftig, aber nicht gehetzt vor sich hinwerkeln.
Wir sind keine Fabrik. Sondern eine Manufaktur.
Jakob Glatz über die einzigartige Nuri-Atmosphäre
„Eigentlich ist es viel mehr eine Manufaktur als eine Fabrik“, sagt Jakob Glatz. Auf den zweiten Blick fällt auf: Hier arbeiten ausschließlich Frauen. „Das hat in der portugiesischen Sardinenproduktion lange Tradition. Viele unserer Mitarbeiterinnen arbeiten ihr ganzes Leben lang da, manche gar in zweiter Generation!“ Bevor wir den Sardinen-Spezialistinnen jedoch über die Schulter schauen, stellt sich einmal Frage Nummer eins: Wie kommen die Sardinen überhaupt hierher?
Alles beginnt im Hafen von Matosinhos. Auch hier hat sich in den vergangenen hundert Jahren nicht viel geändert. „Es ist eine kleinstrukturierte Fischerei, ausschließlich Familienbetriebe. Die Boote sind maximal 23 Meter lang, gefischt wird mit Ringwaden“, sagt Glatz. Die Fischer – hier handelt es sich in der Regel um Männer, auch das will die portugiesische Tradition so – schippern abends aufs offene Meer hinaus und bleiben über Nacht im nicht allzu weit entfernten Küstengewässer.
Glatz: „Haben sie einen Sardinenschwarm gesichtet, fahren sie mit dem Boot um den Schwarm herum und lassen dabei das Netz ins Wasser. Früh am Morgen schnüren sie diesen Netzring dann zu und ziehen so den Schwarm heraus. Zurück am Hafen, begutachten zwei unserer Damen die Fänge. Die besten werden auf der Versteigerung gekauft – und kommen dann direkt zu uns.“
Wie die Dose zur Konserve wird
Womit wir bei der nächsten Frage wären: Wie kommen die Sardinen in die Dose? Zunächst werden die Sardinen in die sogenannte Salmoura eingelegt. Das ist eine Salzlake, in der die Fische gereinigt, aber auch mit Salzaroma versehen werden. Dort ziehen sie rund 20 Minuten. „Danach“, erklärt Glatz, „kommen sie hier auf die Marmortische. Das sind übrigens dieselben Tische, wie schon 1927!“ Eine einzige Handbewegung der Damen genügt, und eine Sardine ist geköpft und ausgenommen. Anschließend kommen die Fische auf einen rostartigen Grill, der wird dann auf einen Wagen gehievt und im Gesamten schnurstracks in zwei mal zwei Meter große Öfen geschoben.
Eine Dose, die nur einen Monat alt ist, schmeckt überhaupt nicht.
Laut Jakob Glatz braucht eine Sardine drei Monate in der Dose, um zu schmecken
Dort nehmen die Sardinen für zehn Minuten ein Dampfbad bei gut 100 Grad. Auf eine kurze Auskühlphase folgt nun der große Auftritt der Dose. Und was für einer! Für sie, und nur für sie, wird nämlich eine Ausnahme gemacht
„Das ist der einzige Produktionsschritt, bei dem wir ein Förderband haben“, macht es Glatz spannend. Und da kommt sie auch schon, die edle Dose: Getragen vom Förderband schwebt sie förmlich am Tischrand entlang. Und zeigt sich dabei von ihrer besten Nuri-Seite. Nämlich gefüllt mit der kultigen Nuri-Gemüse-Gewürz-Mischung. Diese besteht aus einem Stück Karotte, einem Stück Gurke, einer Nelke, einem Pfefferkorn, einem Lorbeerblatt – und einer Piri Piri, also Chilischote.
Das Geheimnis des Öl-Wasserfalls
Aber zurück zu den geköpften, ausgenommenen, gegarten und nun ausgekühlten Sardinen. Die Damen nehmen sie nun vom Rost und schneiden sie mit der Schere soweit zu, dass sie in die Dose passen, die da an ihnen vorüberschwebt.
„Und jetzt kommen die befüllten Dosen zur Maschine“, sagt Glatz. Vor dieser sorgt ein „Öl-Wasserfall“, wie Glatz den mächtigen, sagen wir Olivenölbrunnen, nennt, dafür, dass die Dose vor Öl regelrecht überquillt. In der Maschine selbst wird nun der Deckel so fest an die Dose gepresst, dass sie komplett luft- und wasserdicht ist. Zum Schluss geht es in den sogenannten Autoklaven, also einen Druckbehälter. „Hier“, erklärt Glatz, „wird die Dose unter Druck hoch erhitzt und sterilisiert. Hier wird also aus der Dose eine Konserve.“ Und zwar eine, die jetzt erst einmal auskühlen muss. Und dann: reifen. Am besten zwischen drei und sechs Monate.
Was uns zu Frage Nummer drei bringt: Warum muss etwas luftdicht Verpacktes reifen? „Damit sich das Öl, die Gewürze und der Fisch vermengen können. Isst man eine Dose, die nur einen Monat alt ist, schmeckt das überhaupt nicht. Das Öl ist noch trüb, die Geschmäcker sind alle getrennt.“ Genau hier kommt der Begriff der Jahrgangssardine ins Spiel. Und wir wollen jetzt natürlich wissen: Was hat es denn damit nun auf sich?
Aus der Reserve gelockt
Die Sache ist die: Der Begriff Jahrgangssardine ist irreführend. Weil er uns glauben machen will, gewisse Sardinen seien in einem bestimmten Jahr gefangen worden und andere nicht. Da ist natürlich Unfug, weil jede Sardine irgendwann einmal gefischt wurde. Aber: Genauso wie bei Weinen, die aus den besten, erlesensten Trauben gekeltert wurden, gibt es auch Dosen, in denen nur die exquisitesten Sardinenexemplare Platz finden.
Dass das alles nichts mit Jahrgängen zu tun hat, ist auch der Grund, dass jene Prestigedosen bei Nuri „Reserva“ heißen. Glatz erklärt das folgendermaßen: „In diese Dosen kommt nur der beste Fang des Jahres. Im September und Oktober werden in der Regel die besten Sardinen gefischt. In diesem Zeitraum gibt es sechs oder sieben Tage, an denen man die besten Sardinen an Land zieht. Also solche, deren Fettanteil zwischen elf und 13 Prozent beträgt. Der entsteht dadurch, dass die Sardinen über den Sommer viel gefressen und damit Fett angesetzt haben.
Dieser Fettanteil ist optimal für die wirklich lange Lagerung. Die Reserva wird mindestens ein Jahr lang gelagert, wobei wir sie in dieser Zeit regelmäßig verkosten, um den Reifeprozess zu kontrollieren. Und nur jene Dosen, von denen wir zu 100 Prozent wissen, dass sie in vielen Jahren nicht nur gut, sondern womöglich noch besser schmecken werden, erhalten dann das Siegel einer Reserva.“ Kein Zweifel: Es empfiehlt sich, eine Reserva-Sardine so puristisch wie möglich zu verkosten. Ihre weniger gereiften Pendants hingegen eignen sich hervorragend für kreativere Spielereien.
Zwischen elf und 13 Prozent Fettanteil sind für eine lange Reifung perfekt.
Jakob Glatz über seine „Reserva“-Sardinen
Da wäre zum Beispiel die Bouillabaisse. Jene herzhafte Fischsuppe aus Marseille, die im Original auf eine Vielzahl an Meeresfischen angewiesen ist. Aber mit angebratenen Dosensardinen samt Fenchel, Lauch und Stangensellerie, einem Schuss Weißwein zum Ablöschen und einem wuchtigen Gemüsefond zum Einkochen steht diese Fischsuppe ihrem südfranzösischen Original in nichts, aber auch gar nichts nach. Das verpflichtet natürlich auch: Sie ohne Sauce Rouille, Croûtons und Gruyère zu servieren, wäre selbstverständlich ein Sakrileg.
Die umamireiche Jodigkeit der Sardine eignet sich weiters hervorragend für vielschichtige Marinaden. Die Grillhuhn-Marinade etwa mit Ingwer, Limetten, Buttermilch, Weißwein und der scharfen Nuri-Sardine ist eine echte Offenbarung. Dass Sardinen und Fleisch jedenfalls gut miteinander können, zeigen auch die aufgepimpten Metballs. Diesen verleiht die Nuri-Sardine – inklusive Gurke, Karotte und Chili aus der Dose! – eine genauso vielschichtige wie präzise Kraft und macht sie darüber hinaus mit ihren wertvollen Omega-3-Fettsäuren und dem in beachtlichen Mengen enthaltenen Vitamin D auch noch gesünder. „Und überhaupt“, schwärmt Glatz, „kann man Sardinen unglaublich geschickt in Saucen einsetzen! Ich bin überzeugt: Da gibt es in Zukunft noch viel zu entdecken.“