Fusion Food 3.0: Wie einzigartige Kombinationen die Zukunft der Gastronomie prägen

Einst ging man schlicht chinesisch essen. Oder italienisch. Jetzt schwören Top-Chefs plötzlich auf einen verrückten Mix überraschender Produkte und Techniken. Die Fusionsküche boomt! Was aber steckt hinter der Idee, das Spektakulärste aus allen kulinarischen Welten unter einen Hut zu bringen? Spoiler: Weit mehr als bloße Experimentierfreudigkeit.
Oktober 17, 2024 | Text: Michi Reichelt | Fotos: Julia Losbichler, Anthony's Kitchen, Ben Donath

Fusion is the new normal.“ Wenn eine der renommiertesten Food-Expertinnen Europas diese Aussage tätigt, ist man geneigt, ihr zu glauben. Trendfor­scherin Hanni Rützler, Pionierin der Ernährungswissenschaft, erklärte bereits in ihrem Food Report 2023, dass Fusionsküche da ist, um zu bleiben.

Was Rützler als „kulinarische Globalisierung des Alltags“ bezeichnet, ist nicht mehr und nicht weniger als die Kombination verschiedener landes- und kulturtypischer Küchen und Techniken. Das Beste aus allen Kochwelten quasi. Allerdings drängen sich bei dem Trend, der es vom Hype schon fast zur Normalität geschafft hat, die Fragen auf: Warum braucht es diese Kombination überhaupt? Warum fusioniert man unterschiedliche Esskulturen? Reicht die klassische Küche eines Landes nicht (mehr) aus?

Scheuklappen öffnen

Eine klare Antwort auf diese Frage gibt Anthony Sarpong: „Ich habe mit der Fusionsküche begonnen, weil die afrika­nische Küche dem europäischen Gaumen noch nicht vertraut ist. Deswegen muss ich die Basics, also das, was die Leute kennen, in das wandeln, was sie nicht kennen. Ich mache es, damit die Menschen meine Küche und Heimat ver­stehen.“ Und wie sie das tun! In seinem Restaurant Anthony’s Kitchen in Meerbusch bei Düsseldorf, seit 2018 durchgehend mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet, hat sich ­Anthony Sarpong nun jenen Gerichten verschrieben, die von den traditionellen westafrikanischen Küchen inspiriert sind.

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Schon einmal Palmnusssuppe mit Kochbanane probiert? Oder Waakye mit Sellerie und Rindfleisch? Dann warst du wohl bei Anthony Sarpong zu Gast. Und auch wenn er aktuell mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, ist der Meister des Fusion Foods davon überzeugt, dass seine Türen weiterhin offen bleiben werden.

Fusion is the new normal.“ Wenn eine der renommiertesten Food-Expertinnen Europas diese Aussage tätigt, ist man geneigt, ihr zu glauben. Trendfor­scherin Hanni Rützler, Pionierin der Ernährungswissenschaft, erklärte bereits in ihrem Food Report 2023, dass Fusionsküche da ist, um zu bleiben.

Was Rützler als „kulinarische Globalisierung des Alltags“ bezeichnet, ist nicht mehr und nicht weniger als die Kombination verschiedener landes- und kulturtypischer Küchen und Techniken. Das Beste aus allen Kochwelten quasi. Allerdings drängen sich bei dem Trend, der es vom Hype schon fast zur Normalität geschafft hat, die Fragen auf: Warum braucht es diese Kombination überhaupt? Warum fusioniert man unterschiedliche Esskulturen? Reicht die klassische Küche eines Landes nicht (mehr) aus?

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Eine klare Antwort auf diese Frage gibt Anthony Sarpong: „Ich habe mit der Fusionsküche begonnen, weil die afrika­nische Küche dem europäischen Gaumen noch nicht vertraut ist. Deswegen muss ich die Basics, also das, was die Leute kennen, in das wandeln, was sie nicht kennen. Ich mache es, damit die Menschen meine Küche und Heimat ver­stehen.“ Und wie sie das tun! In seinem Restaurant Anthony’s Kitchen in Meerbusch bei Düsseldorf, seit 2018 durchgehend mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet, hat sich ­Anthony Sarpong nun jenen Gerichten verschrieben, die von den traditionellen westafrikanischen Küchen inspiriert sind.

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Schon einmal Palmnusssuppe mit Kochbanane probiert? Oder Waakye mit Sellerie und Rindfleisch? Dann warst du wohl bei Anthony Sarpong zu Gast. Und auch wenn er aktuell mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, ist der Meister des Fusion Foods davon überzeugt, dass seine Türen weiterhin offen bleiben werden.

Da wird dann beispielsweise Gari, ein Grießpulver aus der Maniokwurzel, mit Hummer kombiniert. Oder das ghanaische Reis-Bohnengericht Waakye mit Sellerie und Rindfleisch oder Austernpilz auf die Speisekarte gesetzt, aber auch klassisch Afrikanisches zusammen serviert: Palmnusssuppe mit Kochbanane und Shito, einer scharfen Pfeffersauce.

Anthony Sarpong, in Ghana geboren und in Deutschland aufgewachsen, will in seiner Heimatstadt Meerbusch aber mehr, als den europäischen Gaumen die hierzulande fremde Küche näherbringen. „Mit Fusions­küche erziehe ich den Gast in einer gewissen Weise. Er lernt, ein anderes Land zu verstehen, seine Kultur zu ­begreifen. Das kann ich nur, indem ich ihn mit dem mitnehme, was er kennt, anfangs nur kleine Einflüsse inte­griere. Und ihn dann langsam zu mehr, immer neuen ­Geschmackserlebnissen inspiriere. Die Scheuklappen werden so abgelegt!“

Kreative Kombinationen

Das traditionelle afrikanische Kochhandwerk hat Anthony Sarpong bereits als Sechsjähriger in Ghana von seiner Mutter gelernt. „Tief verwurzelt“ sei es in ihm, erzählt der heute 42-Jährige – und dennoch hatte er sich lange nicht getraut, es in Deutschland den Menschen zu offerieren. „Ich dachte, das wird keiner verstehen.

Doch irgendwann kam der Punkt, an dem ich mir sagte: Es reicht mir, es muss doch auch mal etwas anderes geben. Alle machen immer nur das Gleiche. Jeder kopiert den anderen. Aber ich wollte etwas machen, das keiner kopieren kann. Dann habe ich mich dazu entschieden, das zu machen.“

Und Anthony Sarpong hat es gemacht. Auf höchstem Niveau. Die Kombinationen, die es später auf seine Teller schaffen, entstehen dabei bereits vor dem eigentlichen Kochen im Kopf – gemeinsam mit seinem Team entwickelt er dann die exklusiven Gerichte, wie der Sternekoch launig erzählt: „Ich schmeiße was in den Raum, ich erkläre, wie ich mir das vorstelle und dann wird so lange daran rumgefeilt, bis es perfekt ist. Da bei mir nur die Elite arbeitet, kommt ein Gericht innerhalb weniger Wochen aus meinem Kopf perfekt auf den Teller.“ Neben den Mitarbeitern – und den kreativen Ideen des Chefs – sei das Um und Auf seiner Arbeit die regionale Produktauswahl, sagt Anthony.

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Schon der Name von Anthony Sarpongs Gerichten ist Programm: So vereint beispielsweise Gari moin moin mit Pfifferling und Waakye Consommé das Beste aus kulinarischen Welten. „Ich erziehe so den Gast in einer gewissen Weise“, sagt der Sternekoch. „Er lernt, ein anderes Land zu verstehen, seine Kultur zu begreifen.“

Eine Auswahl, die der Jahreszeit entsprechend ausfällt: Kürbis, Pflaumen, Stachelbeere, Kirsche, Lavendel, Liebstöckl – was die Natur bietet, wird genommen und verarbeitet. „Wenn man kreativ ist, kann man jeden Monat ein neues Gericht kreieren. Wir arbeiten hier mit unseren Lieferanten und Bauern eng zusammen. Das ist ein Vertrauensverhältnis; will man mich beliefern, muss man sich erstmal beweisen. Aber dann bin ich eine treue Seele. Lieferanten, mit denen ich vor zehn Jahren am Start war, die mit mir durch die Hölle gegangen sind, sind immer noch an meiner Seite.“

Auch traditionelle afrikanische Produkte bezieht Anthony regional – im übertragenen Sinn. „Frische Yamswurzel, Egusi, Gari, Waakye-Hirseblätter und vieles mehr bekommen wir vom Einzel- und Großhändler Ghana House in Düsseldorf. Und wenn jemand aus meinem Umfeld nach Ghana fliegt, kann er etwas mitbringen – auch Geschirr.“ 

Learning by Doing

Dass ungewöhnliche Kombinationen – teilweise – bereits vor der ersten Zubereitung im Kopf entstehen, andere auf reichlich Learning by Doing basieren, ­davon kann Eddi Dimant ein kulinarisches Lied singen. Der ­Wahlwiener ist einer der Köpfe der aus sechs Lokalen bestehenden Mochi World, die rund um das Original Mochi in der Praterstraße im zweiten Wiener Gemeindebezirk aufgebaut wurde.

Schon dieses wurde aufgrund seiner japanischen Gerichte mit kalifornischen Einflüssen – zumindest medial – als Fusionsküche tituliert, selbst wenn Eddi Dimant das stets differenziert sah: „Eigentlich sind wir nicht einmal klassisch japanisch gewesen, weil vor über zehn Jahren, als wir angefangen haben, die traditionelle japanische ­Küche noch zu speziell für europäische Gaumen war. Wir haben das damals schon angepasst – und danach kamen die ­kalifornischen Einflüsse.“

Hinzugekommen ist in der Mochi World in den folgenden Jahren aber noch viel mehr: neben zwei Take Aways, einer Ramen Bar und einer Sake Bar jüngst auch die Cucina Itameshi – am anderen Ende jener Praterstraße, in der 2012 alles begann. Hier wird im Dogenhof, einem denkmalgeschützten Haus nach dem Vorbild der Ca’ d’Oro in Venedig, seit einigen Monaten passenderweise japanisch-italienisch gekocht.

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Im Jänner 2024 öffnete die Cucina Itameshi in Wien. Itameshi – eine Kombination des japanischen Namens für Italien („Itaria“) und dem japanischen Wort für Essen oder Mahlzeit („meshi“) – hat in Japan schon eine lange Tradition.
Hier: Fladenbrot mit Nori.

Eine „Kulturkombination“, mit der Eddi Dimant ursprünglich keinerlei Erfahrung hatte, wie er erzählt: „Ich habe viel recherchiert, mir angeschaut, was typisch italienisch-japanisch ist. Ich habe auch mit Japanern gesprochen, denn in Japan hat Itameshi, also die Kombination der klassischen Küche mit italienischen Elementen, schon eine hundertjährige Tradition. Man kann dabei entweder Neues kreieren oder man nimmt ein ­italienisches Gericht und kocht es mit japanischen Produkten.

„Zum Beispiel belässt man bei Spaghetti Carbonara die Soße klassisch, aber wählt eine andere Nudelsorte, wie ­Ramen-Nudeln. Oder für Cacio e Pepe haben wir Udon-Nudeln genommen, für die Sauce zwar auch Pecorino und Pfeffer verwendet, aber statt mit purem Wasser mit ­Dashi­ – Wasser, Bonitoflocken und Kombu – gekocht. Dashi verwenden wir in vielen unserer Soßen und Marinaden. Und eben auch in der italienischen Küche im Itameshi.“

Fusion ist toll! Aber wenn das Produkt perfekt ist, dann muss man es auch nicht zwingend verändern.
Für Eddi Dimant ist Veränderung in der Fusionsküche nicht alles

Womit wir wieder beim Entstehen der kreativen Fusionen sind. Dabei, wie Learning by Doing die Vorstellungen im Kopf ergänzt. „Ich versuche mir vorzustellen, was gut ist, und dann probiere ich es aus. Dass es dann doch nicht so klappt, wie es mir vorschwebt, passiert oft. Anderes passt dann geschmacklich wieder wirklich gut zusammen“, erzählt Eddi Dimant. „Eine Burrata beispielsweise ist klassisch italienisch. Unsere japanische Interpretation ist, keine Tomatensauce zu verwenden, sondern stattdessen eine Nori-Creme. Nori ist aus den Meeresalgen, aus denen man Sushirollen macht. Daraus haben wir eine Soße gekocht. Mehr als diese zwei Komponenten, Burrata und Nori, braucht man nicht für dieses Gericht“, so der Berliner mit israelischen Wurzeln.

Traditionell perfekt

Veränderung oder Anpassung ist jedoch nicht alles in der Fusionsküche, betont Eddi Dimant. „Es gibt so manches, das ich auf keinen Fall neu interpretieren möchte. Tiramisu zum Beispiel. Ein Tiramisu ist ein Tiramisu, da brauche ich kein Matcha hinzuzugeben oder Ingwer oder Sesam. Das muss einfach das klassische Tiramisu sein, das es in Italien gibt.“ Nachsatz: „Wir haben relativ lange gebraucht, um ein sehr gutes zu zaubern – und das wurde jetzt als bestes in Österreich ausgezeichnet. Darum steht es auch so auf der Karte: Tiramisu ‚Super‘.“

Und noch etwas sollte nicht angepasst werden: „Das Produkt an sich“, so der Mochi-Chef. „Wenn das Produkt perfekt ist, muss man es nicht verändern, nicht einlegen oder Geschmack zugeben. Nehmen wir Burrata. Oder Salame Milano. Wir hatten hier viel getestet.“ Während man klassische japanische Produkte wie Ramen-Mehl oder frischen Wasabi direkt aus Japan bezieht, vertraut man bei italienischen Zutaten nur zwei Lieferanten: Cibus des Italieners Luca Miliffi und dem Österreicher Christian Pöhl (Poehl am Wiener Naschmarkt). „Käse, Salami, Burrata, Haselnüsse aus dem Piemont … die Produkte, die wir von ihnen beziehen, sind top.“

Die Zukunft hat begonnen

Top sind auch die von Anthony Sarpong verwendeten ­Produkte – nicht nur, was die Qualität betrifft. Denn diese hat für Anthony ohnehin den größten Stellenwert: „Ich achte ganz stark auf den Geruch, für mich riecht jedes Gemüse anders. Wenn ich einen Apfel in der Hand halte, muss er duften. Bei Basilikum muss der ganze Raum danach riechen. Wenn ich einkaufe, ist das sehr emo­tional.“ Neben den besten Produkten ist es auch das Thema Nachhaltigkeit, das Anthony Sarpongs Handeln bestimmt, ziert das Anthony’s als einziges Restaurant in Nordrhein-Westfalen doch seit 2021 ein grüner ­Michelin-Stern für Nachhaltigkeit.

„Das Einzige, was bei uns im Restaurant weggeschmissen wird, ist Kompost. Ansonsten wird alles wieder- oder ­ganzheitlich verwertet. Vom Tier, vom Gemüse. Es wird nichts weggeworfen. Bis hin zu Zwiebelschalen wird alles gesammelt. Wir verwenden auch kein Plastik, kein Alu. Ja, es war schon ein Prozess, diese Infrastruktur aufzubauen, aber es hat sich gelohnt.“ Dass sein Unternehmen aktuell in finanzielle Schwierigkeiten gekommen ist, habe andere Gründe, heißt es.

Erst am Start sei man hingegen bei der afrikanischen Fusionsküche, so Anthony Sarpong. „Wir haben gerade damit angefangen. Afrika ist so groß. Wir sind erst in Westafrika und noch lange nicht am Ende. In den nächsten Jahren wird das so richtig abgehen. Schon jetzt kommen Gäste aus der ganzen Welt zu uns, um unsere Küche zu probieren. Und das ist gerade mal der Anfang.“

Auch für die Cucina Itameshi hat die Zukunft erst begonnen. Nachdem die Idee in Wien einen derartigen Einstiegserfolg gefeiert hatte, exportiert man das Konzept nun auch in die Schweiz: Von 22. Oktober 2024 bis 20. April 2025 öffnet die Cucina Itameshi Zürich als Pop up im ­Bistro Neumarkt von Nenad Mlinarevic und Valentin Diem.

Und was kommt danach? „Ich bin ja in Israel geboren. Da habe ich vor einigen Jahren über japanisch-israelische Küche nachzudenken begonnen – weit gekommen bin ich damit allerdings noch nicht“, so Eddi Dimant.

Der Grund: „Es gibt da Produkte, die schwer zu kombinieren sind. Hummus zum Beispiel. Dessen Geschmack ist doch sehr ­speziell.“ Da sich die Mochi World aber laufend weiterdreht, ist wohl eine weitere Fusionsküche nur eine Frage der Zeit.

Aber Moment, eines betont der erfahrene Esskultur-Kombinierer Eddi Dimant abschließend noch ganz bewusst: „Ich bezeichne das, was wir machen, eigentlich gar nicht als Fusionsküche. Es ist einfach die Küche, die wir alle mögen. Die Küche, die jeder isst.“

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