Chefdays 2015 – Tim Mälzer + Thomas Imbusch: Vertrau deinem Bauchgefühl!

Kaum jemand kann seine Emotionen so unverfroren auf die Teller bringen wie Tim Mälzer. Gemeinsam mit Off-Club-Küchenchef Thomas Imbusch sorgte das Enfant Terrible unter den Gastronomen für Laune und Tiefsinn.
November 13, 2015

KartoffelTim Mälzer war der frechste und gleichermaßen erfolgreichste TV-Koch im deutschsprachigen Raum und avancierte zudem über die Jahre hindurch zu einem der innovativsten Gastronomen. Sein letzter Clou, der Hamburger Off Club, ist Mälzers persönliches Wünsch-dir-Was von einem Laden, in dem er selbst gerne Gast wäre. Und der eher aus Verlegenheit als aus Verlangen in seinen Händen landete. Ab Ende des Jahres wird er gemeinsam mit den Wiener Gastronomen Barbara und Peter Eichberger ein neues Restaurant im Wiener MAK eröffnen, das eine klare nordisch-österreichische Küchensprache haben wird. Was er von der sogenannten Hochküche hält, weshalb er die New Nordic Cuisine als Meilenstein des 21. Jahrhunderts bezeichnet und warum man sich ganz einfach nach seinem Bauchgefühl richten sollte, hat er bei seiner launigen CHEFDAYS-Show mit seinem Off-Club-Küchenchef Thomas Imbusch verraten:

Thomas Imbusch hat bei mir mit 22 Jahren in der Bullerei angefangen. Unser Hauptrestaurant. Die Bude, bei der ich mich kulinarisch zu 100 Prozent verantwortlich zeige. Ich stehe zwar nicht mehr klassisch am Herd und koche, aber entwickle die Sprache und Gerichte. Die Emotionen. Und Thomas war so ein Typ Koch, den ich eigentlich nicht leiden kann. À la ein Pünktchen hier, ein Pünktchen da. Hier ein Alginat, da ein Ding, das ich nicht einmal aussprechen kann. Dehydriert, pulverisiert, aufgespritzt und tiefgefroren. Hauptsache, es sieht nicht mehr so aus wie das eigentliche Grundprodukt. Ein ehemaliger Christian-Bau- und Alain-Ducasse-Schüler. Der steht also mit zarten 22 Jahren vor mir und ich sag zu ihm: „Mach mir doch einmal einen Tomatensalat.“ Er legt mir einen Tomatensalat hin und wer da noch eine Tomate erkannt hat, muss echt ein Experte gewesen sein. Ich forderte ihn dann auf, doch einmal einen richtigen Tomatensalat zu machen, und wollte ihm erklären, was ich darunter verstehe, worauf er sagte: „Herr Mälzer, Sie können mit mir über alles reden. Über Sport oder über Mode, aber nicht übers Kochen. Davon haben Sie nämlich keine Ahnung!“

Wir können über alles reden, nur nicht übers Kochen.
Davon haben Sie nämlich keine Ahnung.
Thomas Imbusch zu Tim Mälzer bei deren erster Begegnung

<image id=“2″ align=“left“ />Die Eier muss man haben. Und dort habe ich mir dann gedacht: „Pass auf, mein Freund. Dir mache ich das Leben zur Hölle. Mit dir arbeite ich ab sofort die nächsten Jahre intensiv zusammen.“ Und wir haben dann auch tatsächlich eine gemeinsame Sprache gefunden, die derzeit im Off Club dargestellt wird. Für mich einer der spannendsten und aufregendsten Läden, die das Land gerade zu bieten hat. Das hat jedoch weniger mit mir zu tun, sondern vielmehr mit Thomas. Wir haben ein Beispielgericht mitgebracht, das sehr schön den Off Club und die Vision, die wir haben, erklärt. Der Titel: „Sauerkraut | Schwarzbrot | Kümmel“. Es geht ums Thema Sauerkraut. Ein eher verrufenes Lebensmittel. Wenn man sich damit jedoch beschäftigt, ist es ziemlich geil. Tolle Aromenstrukturen und Säuregerüste, die sehr komplex sind. Ein Selbstläufer im Off Club, der noch nie reklamiert wurde. Jeder versteht das Gericht, denn es ist Sauerkraut, Sauerkrautsaft, mit Zucker angebratenes Sauerteigbrot, dazu kommt etwas Kaviar und fertig. Dadurch haben wir gesehen, dass die Bereitschaft vom Gast, sich auf etwas einzulassen, gegeben ist, solange es schlüssig bleibt. Nun zu meinen Gastro-Konzepten. Ich entwickle die gar nicht großartig. Ich habe ein Bauchgefühl, ein Bedürfnis oder einen Moment und diese Lücke fülle ich dann in den meisten Fällen selbst. Meine erste Selbständigkeit war das Weisse Haus in Hamburg an der Elbe. Kleiner Laden, 40 Sitzplätze und das einzige Restaurant im Umkreis ohne Elbblick. Da haben gleich alle gesagt: „Was für eine dumme Idee!“ Nein, keine dumme Idee. Da fragte mich wenigstens kein Gast nach einem Tisch am Fenster, denn er konnte eh nichts sehen. Es war ein Laden, der eigentlich nur aus Fehlern bestand. Wir haben eigentlich alles falsch gemacht, was man in der Gastronomie nur falsch machen kann. Daraus hat sich aber letztendlich mein gastronomisches Verständnis entwickelt.

Das letzte Objekt, das ich bis dato eröffnet habe, war eben der Off Club. Auch hier: Fehler. Schon einmal die Lage ist nicht sonderlich glücklich. Hamburg-Bahrenfeld. Da war vorher ein Edel-Franzose drin, der einem Freund von mir gehörte. Der Laden lief nicht gut, wir saßen an einem Abend zusammen und wollten die Rotweinvorräte vernichten. Unser Dialog war nur mehr Gelalle, aber wir haben uns gerade noch verstanden. Und im Vollsuff habe ich dann gesagt: „Komm, ich bin dein Freund. Wir reißen das Ruder rum!“ Am nächsten Tag rief er mich dann an und fragte: „Meintest du das eigentlich ernst? Du hast mir den Laden abgekauft!“ Und ich: „Was??“ Aber man steht zu seinem Wort und dann saß ich in dem Laden und dachte: Was soll ich hier nur machen? Pizzaladen, Burgerbude, zweite Bullerei? Aber es hat mich alles gelangweilt.

Und irgendwann dachte ich mir: Fuck off! Ich mache einfach das, was ich möchte und für richtig halte und was ich gerne esse. Der Off Club hieß eigentlich die ganze Zeit „Fuck off Club“. Und das bedeutet: absolut an das glauben, was man selbst für richtig hält! Ich bin bestimmt kein brillanter Koch. Aber ich bin ein guter Handwerker. Worin ich aber noch besser bin: Ich bin ein guter Esser. Und Trinker. Ein weiteres Beispiel unserer gastronomischen Denkweise: die Weinkarte im Off Club. Ich war mal in einem Edel-Restaurant in Hamburg und wollte endlich wissen, warum denn alle so von Weinen wie einem Cheval Blanc schwärmen. Am nächsten Tag kam eine Mitarbeiterin aus unserer Buchhaltung auf mich zu und fragte, ob ich denn im Puff gewesen sei, da auf der Rechnung die 2000 Euro für einen Cheval Blanc drauf waren. Sie dachte, es wäre ein Codewort für eine Prostituierte.
Ich habe dann nachgeforscht und man konnte den Cheval Blanc um 300 Euro bei Edeka kaufen, verkauft wurde er dann jedoch um 2000 Euro. Das habe ich einfach nicht verstanden. Wenn man schon dazulernen oder genießen möchte, warum wird man dann mehr abgezockt als auf dem Kiez?

Wir haben alles falsch gemacht,
was man nur falsch machen kann.
Tim Mälzer über den Grundstein seines Erfolgs

Erfahrungen wie diese haben sich über die Jahre zusammengesammelt und sind im Off Club zu einer Gesamtmischung kulminiert. Wir haben etwa den kleinsten Japaner der Welt. Ich liebe japanisches Essen und kenne in Hamburg nur eine wirklich tolle Adresse. Deshalb habe ich den besten Japaner Deutschlands engagiert, der jetzt für uns grandiose Arbeit leistet.
Dann haben wir den Bereich Munchies. Das kennt ihr bestimmt: Wenn man gekifft hat oder betrunken ist, dann hat man auf einmal diesen Heißhunger. Ich weiß das aus Erzählungen. Es gibt dann zu diesem Zeitpunkt, egal was es ist, kein besseres Essen als die Currywurst um halb vier. Da muss dann keiner mit „Steinbutt à la blablabla“ kommen, es muss etwas Reales sein. Und das ist doch letztendlich auch das, was die Menschen wirklich wollen.

Und dann haben wir den Bereich, für den vor allem Thomas Imbusch verantwortlich ist. Eine spannende und vor allem nachvollziehbare Küchenphilosophie, die Spaß macht. Die Reduktion auf das Wesentliche. Die eigentliche Kreativität ist bei ihm erst dann entstanden, als er eine Heerschar an Küchengeräten wollte und ich nur sagte: „Nein. Du bekommst einen Herd und das war’s!“ Er war dann etwa eine Woche angepisst auf mich, aber genau deshalb funktioniert es so, wie es heute ist. Es geht doch darum, einfach Gerichte zu machen, die jeder versteht.

Positivismus, bitte!

Wir versuchen schon seit einiger Zeit, immer allem so zu begegnen, ohne etwas Negatives zu finden. Es hat nämlich alles seine Berechtigung. Es gibt kein Richtig oder Falsch. Es gibt nur einen Weg, den wir als den für uns entsprechenden halten. Was aber noch wichtiger ist: das Motivieren.
Dazu muss ich von einer Tendenz, die ich seit einiger Zeit beobachte, berichten. Ich war letztes Jahr auf einer Buchtour durch Deutschland und in mehreren Spitzenrestaurants. Ich schwöre: Von Mai bis Juni gab es die Kombination „Radieschen, Gurke, Apfel“. In zwei Dritteln dieser Restaurants wurde links angerichtet. Wer hat das überhaupt erfunden? Das macht doch keinen Sinn. Man muss doch ohnehin den ganzen Teller abwaschen. Was das aber zeigt, ist, der Großteil kopiert einfach. Klar, soll man sich inspirieren lassen. Das mache ich auch. Aber man muss auch einmal einen Schritt zurückgehen und darüber nachdenken, was man aus bestimmten Gerichten herausziehen kann, was man zu seinem eigenen Ding macht. Ich habe ja lange Zeit gegen die sogenannte Hochküche angekämpft. Nicht wegen des Inhalts. Jeder einzelne Koch, der sich einen Punkt, eine Haube oder einen Stern erarbeitet hat: Respekt! Was ich persönlich jedoch für zweifelhaft halte, ist, dass diese Wertungen die gesamte Kulinarik bestimmen sollen. Wenn man etwa eine leckere Leberkäsesemmel serviert, mit tollen Produkten, hat das die gleiche Wertigkeit wie ein 12-Gänge-Menü von einem Wissler. Ich finde es falsch, da einen Unterschied zu machen. Wenn etwa dieser Leberkäse der beste ist, den man bekommen kann, dann ist er genauso zu betrachten wie das Spitzenmenü als solches. Es ist solides Handwerk, es sind beides tolle Grundprodukte. Beides von Menschen gemacht, die ihr Bestes tun, damit der Gast zufrieden ist.

Die Nordic Cuisine ist da etwa eine Strömung, die uns sehr in die Hände spielt. Die Rückbesinnung auf Produkte, auf Reduzierung. Wir brauchen keine Edelprodukte, keine Hummer oder Scampis. Wir können alle dank dieser Nordic Cuisine wieder eine eigene Identität entwickeln. In Österreich geht das schön langsam los, was in Deutschland noch komplett fehlt. Wir haben die große Chance, durch die Inspiration der Nordmänner unsere eigene Identität zu finden. Über Nordic Cuisine bin ich gestolpert, indem ich mir dachte: „Boah, Moos fressen. Wer braucht denn das? 200 Euro für ein paar Äste. Wahnsinn!“ Es ist halt manchmal auch das falsche Bild, das transportiert wird.
Bis ich verstanden habe, was da eigentlich passiert. Ich bin nur auf den Teller gegangen. Auf die Rezeptur. Es geht dabei um hochgradig kulturelles Verständnis von Lebensmittelzubereitung und Produktbeschaffung. Wir sind gerade mittendrin. Es ist wirklich faszinierend und jeder kann seinen Teil dazu beitragen. Ich bin mir sicher, dass das gerade eine der prägendsten Phasen des 21. Jahrhunderts ist. So etwas hatten wir schon einmal, nämlich die Nouvelle Cuisine. Ich würde ohne diese Bewegung nicht da stehen, wo ich heute bin. Wichtig dabei ist jedoch immer: Zieht euch dabei das Beste raus und hört damit auf, einfach Copy-and-paste zu fabrizieren!

www.tim-maelzer.de

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