Mehr sein als Schein
Fotos: Mike Krueger, Gerald Rihar | HELGE KIRCHBERGER Photography
Dieser Mann ist weiß Gott kein Blender und er ist auch keiner, der sich blenden lässt. Doch wenn er das Licht sieht, gibt es keine Fragen mehr. Joachim Wissler wirkt entspannt und bestimmt, als er bei den LEADERS OF THE YEAR in der Münchner BMW Welt auf die Bühne tritt. Stolz und bescheiden. Korrekt und kraftvoll. Klar, den Preis als „Inspirationchef des Jahres“ hat er sich mehr als verdient. Seit gut einem Jahrzehnt gilt er als einer der visionärsten Köche weltweit. Sein Haus, das mit drei Michelin-Sternen dekorierte Edelrestaurant Vendôme im ebenso noblen Schlosshotel Bensberg, ist eine Pilgerstätte für die Gäste und die Kollegen aus allen Generationen. Er motiviert und animiert. Seine Botschaft hat er klar definiert: Geht neue Wege! Denkt! Und bitte über den Tellerrand hinaus! Allem Zuspruch und den Attitüden des Supererfolgreichen zum Trotz steht der Starkoch stabil mit beiden Beinen im Leben. „Ich fühle mich total geerdet und bodenständig“, sagt Wissler. „Erfolg ist wie eine Fahrt im Aufzug, der einen ganz nach oben bringt. Aber man sollte sich schon bewusst sein: So ein Aufzug fährt auch wieder runter. Erfolg ist immer ein Teilabschnitt des Lebens und spiegelt die Vorstellung dessen wider, was man erreichen will und was man erreicht hat. Natürlich hat man den Erfolg durch seine Arbeit verdient, aber auch dank günstiger Umstände, die den Weg geebnet haben.“ Er ist das Musterbeispiel des Hochtalentierten, der es mit harter Arbeit und der richtigen Portion Hirnschmalz nach oben geschafft hat. Und: Er weiß, wo er herkommt. Schwäbische Alb. 50 Kilometer südöstlich von Stuttgart. Auf dem Gutshof der Eltern, dem Engelhof bei Ochsenwang, muss Klein Joachim, geboren im Jahr 1963, kräftig mit anpacken. Zu dem landwirtschaftlichen Anwesen gehört noch ein Gasthof. „Ich habe da gelernt, Dienstleistungen zu erbringen, aber ich habe nicht gelernt,…
Fotos: Mike Krueger, Gerald Rihar | HELGE KIRCHBERGER Photography
Dieser Mann ist weiß Gott kein Blender und er ist auch keiner, der sich blenden lässt. Doch wenn er das Licht sieht, gibt es keine Fragen mehr. Joachim Wissler wirkt entspannt und bestimmt, als er bei den LEADERS OF THE YEAR in der Münchner BMW Welt auf die Bühne tritt. Stolz und bescheiden. Korrekt und kraftvoll. Klar, den Preis als „Inspirationchef des Jahres“ hat er sich mehr als verdient. Seit gut einem Jahrzehnt gilt er als einer der visionärsten Köche weltweit. Sein Haus, das mit drei Michelin-Sternen dekorierte Edelrestaurant Vendôme im ebenso noblen Schlosshotel Bensberg, ist eine Pilgerstätte für die Gäste und die Kollegen aus allen Generationen. Er motiviert und animiert. Seine Botschaft hat er klar definiert: Geht neue Wege! Denkt! Und bitte über den Tellerrand hinaus! Allem Zuspruch und den Attitüden des Supererfolgreichen zum Trotz steht der Starkoch stabil mit beiden Beinen im Leben. „Ich fühle mich total geerdet und bodenständig“, sagt Wissler. „Erfolg ist wie eine Fahrt im Aufzug, der einen ganz nach oben bringt. Aber man sollte sich schon bewusst sein: So ein Aufzug fährt auch wieder runter. Erfolg ist immer ein Teilabschnitt des Lebens und spiegelt die Vorstellung dessen wider, was man erreichen will und was man erreicht hat. Natürlich hat man den Erfolg durch seine Arbeit verdient, aber auch dank günstiger Umstände, die den Weg geebnet haben.“ Er ist das Musterbeispiel des Hochtalentierten, der es mit harter Arbeit und der richtigen Portion Hirnschmalz nach oben geschafft hat. Und: Er weiß, wo er herkommt. Schwäbische Alb. 50 Kilometer südöstlich von Stuttgart. Auf dem Gutshof der Eltern, dem Engelhof bei Ochsenwang, muss Klein Joachim, geboren im Jahr 1963, kräftig mit anpacken. Zu dem landwirtschaftlichen Anwesen gehört noch ein Gasthof. „Ich habe da gelernt, Dienstleistungen zu erbringen, aber ich habe nicht gelernt, wie man kocht“, sagt Wissler. „Wenn meine Freunde Fußball gespielt haben, musste ich Kartoffelsalat machen.“ Wie die große Kochkunst aussieht, erfährt er während seiner Lehre in der Traube Tonbach, dem traditionsreichen 3-Sterne-Haus im Schwarzwald. Er zieht weiter nach Hinterzarten, Baden-Baden und ins Rheingau. Er lernt und er beginnt, eigene Ideen zu entwickeln und umzusetzen. Im Jahr 1991 übernimmt er die Leitung des hochambitionierten Restaurants Marcobrunn im Erbacher Schloss Reinhartshausen, das er schnell zum Strahlen bringt. „Ab dem Zeitpunkt, als ich mich als Chef beworben hatte, wusste ich, dass es nicht das Mittelmaß ist, was ich anstrebe“, sagt Wissler. „Als ich im Marcobrunn anfing, war ich knapp 28 Jahre alt, musste das Team aufbauen und das Restaurant. Es hat fünf Jahre gedauert, bis man mich wahrgenommen hat. Ich war eben nicht der Schüler von XY, der allein durch diese Referenz schon die Aufmerksamkeit weckt.“ Den fehlenden Rückhalt des großen Küchenmeisters kompensiert er mit der urschwäbischen Hartnäckigkeit und Ausdauer. Er macht sein Ding und entwickelt aus freien Stücken den eigenen Stil. „Mich hat kein Meister geprägt, vielleicht bin ich deshalb unvoreingenommen“, sagt Wissler. „Mir hat in meiner Ausbildung und als junger Teamchef sehr geholfen, dass ich mich früh einsortieren konnte in die harte Realität und das schöne Flair.“ Der Lohn lässt ein Weile auf sich warten, dafür glänzt er umso schöner und von Dauer. Drei Jahre nach seinem Antritt im Schloss Reinhartshausen wird er als Aufsteiger des Jahres ausgezeichnet. 1995 erhält er für sein Werk im Restaurant Marcobrunn den ersten Stern – und der zweite folgt sogleich im Jahr darauf. Plötzlich ist er in aller Munde. Wissler, so heißt er, Deutschlands neuer Küchenmeister!
Die Gäste jubilieren, in der Branche gilt er jetzt als Schwergewicht. Neue Angebote, höchst seriös bis unmoralisch, erreichen ihn im Wochentakt. Thomas Althoff, dem Edelhotelier und Grandseigneur der Gourmetgastronomie, gelingt es schließlich, ihn im Jahr 2000 als Küchenchef des Restaurants Vendôme im Grandhotel Schloss Bensberg zu engagieren. Es ist eine grandiose Erfolgsgeschichte, die 2006 entsprechend gewürdigt wird. Drei Sterne für Wissler und das Vendôme! Er hält sie bis heute, und er trägt sie im Herzen. „Der dritte Stern ist ganz sicher der besondere Stern“, sagt Wissler. „Nur noch eine Handvoll bundesweit und vielleicht 70 Köche weltweit haben drei Sterne. Mit dem ersten Stern überschreitet man eine Schwelle. Aber der dritte Stern bedeutet Vertrauen in das Können, repräsentiert eine personifizierte Küche und Wertschätzung, dass man diesen Kriterien für einen langen Zeitraum Kontinuität gibt.“ In der reizvollen Idylle des Bergischen Lands lebt er seinen Traum, selbst wenn er ihn so konkret keinesfalls umrissen sieht. „Es wäre vermessen zu behaupten, dass ich gewusst hätte, dass es einmal da endet, wo ich heute stehe. Aber es macht mich zutiefst zufrieden, den Versuch und den Anspruch verwirklicht zu haben und an der Spitze mitzumischen. Es ist eine Gnade, wenn jemand seinen Beruf so leben darf.“ Es klingt verlockend, doch es ist selbst heute noch kein Zuckerschlecken. Zwölf bis 14 Stunden Arbeit pro Tag, am Wochenende sowieso, der Montag ist frei, der Dienstag vielleicht – das ist die nackte Realität. Weltspitze, das bedeute für einen wie ihn eben auch: Qualität! Kreativität! Innovation! Diese Kriterien erfordern Höchsteinsatz, immer und überall. „Zusätzlich müssen wir Botschafter unseres Berufs sein, ein Netzwerk aufbauen und uns darüber klar werden, wie es weitergehen soll und was wirtschaftlich vertretbar ist“, sagt Wissler. „Man muss sich bewusst sein, dass 80 Millionen Menschen, die in Deutschland leben, nicht ausreichen, um rund 30 Spitzenrestaurants bundesweit an fünf Tagen in der Woche mittags und abends zu belegen. Also müssen wir Spitzenköche uns überlegen, wie sich Hemmschwellen abbauen lassen, damit mehr Menschen zu uns kommen, und wie man sich international platzieren kann.“ Das Zauberwort lautet: Inspiration. Wie gelingt es ihm immer wieder, die Gäste zu verlocken? Wie schafft er es in gespielter Leichtigkeit, sie in eine andere Welt zu entführen? „Ich vergleiche diese Stunden für den Gast gern mit der berauschenden Fahrt auf einem Karussell“, sagt Wissler. „Am Ende dieser Fahrt und am Ende eines solchen Abends muss ich das Gefühl haben, dass ich das noch einmal machen möchte.“ Wenn es nur so einfach wäre. Die Fachkritiker umjubeln ihn als einen der bedeutendsten Repräsentanten der modernen Kochkunst zwischen klassischen Techniken und Avantgarde. Er gilt als Meister der Pointe. Selbst wenn der Gast vielleicht gar keinen Sinn dafür hat. „Man muss nicht alle Details identifizieren können“, sagt Wissler. „Aber ich bin mir sicher, dass jeder Gast das Besondere erkennt. Musikliebhaber, die ein Konzert von Karajan besucht haben, mögen vielleicht auch nicht jede Feinheit herausgehört haben, und dennoch haben sie gespürt und erlebt, dass es etwas Großes war und ist.“ Wer jemals versucht hat, eine seiner Kompositionen nachzukochen, weiß: Es ist unmöglich. Wer hat es denn in den Fingern und im Kopf, die Karotten gefrierzutrocknen, zu pulverisieren, zu knusprigen Blättern zu formen und diese in die Menüfolge „Gemüsekrokant-Blätterwald“ zu drapieren? Es ist Wisslers Passion und seine Profession, die Elemente der traditionellen Küche mit kreativem Wirken und modernen Techniken als Gerichte mit dem Faktor Zeitgeist auf den Teller zu bringen. Es ist genial und klingt fast unheimlich. Doch die Leitsätze, die er für seine Arbeit formuliert hat, sind einfach. Es geht ihm darum, die Tradition zu wahren. Er liebt die Arbeit am Produkt und experimentiert mit großer Freude. Und: Er treibt es bis zur Perfektion. Der Schaum, den er schlägt, hat Substanz. An jedem Tag, in jedem Gericht. Er mischt munter. Alt und neu, heiß und kalt, butterweich und knusprig. Neue deutsche Schule – so heißt es in dem Lehrbuch, an dem sich der Nachwuchs der Küche orientiert. Wissler ist der Meister der Stilistik.
Er ist der Koch der Köche in der deutschen Top 100, das Vendôme hat er mit seinem genialen Werk auf Platz zehn in der Liste der 50 weltbesten Restaurants etabliert. Der Superstar der Kulinarik sieht sich in seiner Arbeit bestätigt. Doch Beifall und Blitzlichtgewitter hin oder her: Die elementaren Tugenden, die er seit Kindestagen in sich trägt, halten ihn aufrecht. „Ich bin demütig und jenen dankbar, die mich auf meinem Weg zum Ruhm begleitet haben, vor allem meiner Familie“, sagt Wissler. „Bescheidenheit bringt schon meine Herkunft mit sich, denn es ist nicht selbstverständlich, dass man einen solchen Weg einschlägt.“ In schwäbisch aufrichtiger Manier pflegt er den realistischen Tagesplan, der ihm in regelmäßigen Abständen Zeit zur Muße gewährt. Es sind die Minuten und Stunden, in denen sich der Geist aus dem Alltag verabschiedet, entschwebt in andere Sphären. Traumhaft und mit Sehnsucht in neue Welten. „Es kann eine Kindheitserinnerung sein oder ein Geschmack oder eine Sache, die ich gerne auf dem Teller ausdrücken möchte, zum Beispiel den Duft von Heu“, sagt Wissler. „Ich bin auf dem Bauernhof groß geworden. Wenn dort das Heu gemäht wird, hat es einen ganz eigenen, persönlichen Geruch. Es kann passieren, dass mich so etwas inspiriert. Aber um das alles in der Realität ausleben zu können, muss man konkrete Vorstellungen haben und sich eine Art Zeitkorridor festlegen, um sich damit zu beschäftigen.“ Die Freiräume für seine inspirativen Ausflüge schafft sich der Meisterkoch selbst in dem mitunter hektischen Tagesgeschäft. Er versucht, geschickt zu delegieren. „Das ist eine Kunst“, sagt Wissler. „Man lernt, wenn man verstanden hat, dass man gar nicht alles selber machen kann. Dann kann man einen Zustand erreichen, der es einem erlaubt, die jugendliche Neugier zu bewahren.“ Seine Kindheit, so erinnert er sich, war geprägt vom Sonntagsbraten. Auch dem Backofen, versteht sich. Den speziellen Duft, der in der Küche lag, trägt er bis heute in der Nase. „Wenn dieser Braten um halb zwölf aus dem Ofen kam, war dieser Duft natürlich sensationell“, sagt Wissler. „Auf diesem Geruch basierend, haben wir schon einmal ein Gericht gemacht. Es hatte sich mehr oder weniger zweigleisig entwickelt: einerseits aus der Vorstellung, diesen Geruch irgendwo als Geschmack auf einem Teller wiederzugeben, auf der anderen Seite war es auch ein Zufallsprodukt.“ In der Praxis hieß es: Schwänzchen vom Schwein, erst gegart, dann gebraten. Klingt gut und so einfach, im Kopf zumindest.