Circuit Culinair
Fotos: Werner Krug, Studio Heiner Orth, Grand SPA Resort A-ROSA, beigestellt
Die klugen Köpfe des ersten Circuit Culinair aus Gastronomie, Design, Industrie und Hotellerie. In keiner Reihenfolge und manche auch ohne Foto: Otto Koch, Adrienne Axler, Sven Sommer, Oliver Wendel, Dennis Maier, Dietmar Spriwald, Ralf Bos, Lucki Maurer, Stefan Marquard, Christian Singer, Alex Theil, Frank Albers, Thomas M. Walkensteiner, Reinhard Hanusch, Fritz Treiber, Jürgen Mann, Alexander Herrmann, Sascha Albertsen, Gerhard Retter, Frank Meissner, Katharina Morcom, Patrik Jaros, Bernd Schwang, Ludwig Cramer-Klett, Christian Krüger, Hubert Hackl, Stefan Thalhammer, Oliver Ernst, Frank Wagner, Holger Beeck, Christian Schwamkrug, Klaus Baumgartner, Sebastian Wussler, Marcus Beck, Christian Schweinzer, Florian Pelzer, Dirk Lütje, Richard Hirschhuber, Oliver Wirtz, Stephan Kuffler, Ludwig Heer, Ulf Tassilo Münch, Axel Hluchy, Udo Walter, Tommy R. Möbius, Tim Mäler, Jürgen Pichler, Martin Behle, Axel Ohm, Rui Esteves, Bernhard Moser, Saskia Smeets, Andreas Rabenseifner, Anja Vollrath
Zeit für richtig Druck
Konsequentes Querulantentum und latente, positive Unzufriedenheit. Das sind die Eigenschaften, die permanente Verbessung bringen. Einfach ausgedrückt: jeden Tag so richtig Dampf machen. Ideen zu spinnen, die einen erst mal zum Spinner abstempeln. Innovation zeigen, in Bereichen, die auf den ersten Blick schon übersättigt wirken. Dann so richtig geil überzeugen. Das ist der Stoff, aus dem Gastronomiegeschichte geschrieben wird. Leider ist der in letzter Zeit ein wenig dünner geworden. Darüber könnte man jetzt jammern und den anderen – also wahlweise der Politik, die mit Arbeitszeitregelungen den Wirten und Mitarbeitern an den Karren fahren, den Gästen, die nicht kapieren wollen, dass Qualität Geld kostet, oder auch Gott, wenn…
Fotos: Werner Krug, Studio Heiner Orth, Grand SPA Resort A-ROSA, beigestellt
Die klugen Köpfe des ersten Circuit Culinair aus Gastronomie, Design, Industrie und Hotellerie. In keiner Reihenfolge und manche auch ohne Foto: Otto Koch, Adrienne Axler, Sven Sommer, Oliver Wendel, Dennis Maier, Dietmar Spriwald, Ralf Bos, Lucki Maurer, Stefan Marquard, Christian Singer, Alex Theil, Frank Albers, Thomas M. Walkensteiner, Reinhard Hanusch, Fritz Treiber, Jürgen Mann, Alexander Herrmann, Sascha Albertsen, Gerhard Retter, Frank Meissner, Katharina Morcom, Patrik Jaros, Bernd Schwang, Ludwig Cramer-Klett, Christian Krüger, Hubert Hackl, Stefan Thalhammer, Oliver Ernst, Frank Wagner, Holger Beeck, Christian Schwamkrug, Klaus Baumgartner, Sebastian Wussler, Marcus Beck, Christian Schweinzer, Florian Pelzer, Dirk Lütje, Richard Hirschhuber, Oliver Wirtz, Stephan Kuffler, Ludwig Heer, Ulf Tassilo Münch, Axel Hluchy, Udo Walter, Tommy R. Möbius, Tim Mäler, Jürgen Pichler, Martin Behle, Axel Ohm, Rui Esteves, Bernhard Moser, Saskia Smeets, Andreas Rabenseifner, Anja Vollrath
Zeit für richtig Druck
Konsequentes Querulantentum und latente, positive Unzufriedenheit. Das sind die Eigenschaften, die permanente Verbessung bringen. Einfach ausgedrückt: jeden Tag so richtig Dampf machen. Ideen zu spinnen, die einen erst mal zum Spinner abstempeln. Innovation zeigen, in Bereichen, die auf den ersten Blick schon übersättigt wirken. Dann so richtig geil überzeugen. Das ist der Stoff, aus dem Gastronomiegeschichte geschrieben wird. Leider ist der in letzter Zeit ein wenig dünner geworden. Darüber könnte man jetzt jammern und den anderen – also wahlweise der Politik, die mit Arbeitszeitregelungen den Wirten und Mitarbeitern an den Karren fahren, den Gästen, die nicht kapieren wollen, dass Qualität Geld kostet, oder auch Gott, wenn er es im Sommer wieder mal regnen lässt – die Schuld geben.
Wollen wir aber nicht. Werden wir nicht. Dafür gibt es die anderen. Diejenigen, die Gastronomie leben, wollen sie verändern, und zwar positiv. Hinterfragen, auch wenn es wehtut. Fragen zu stellen, deren Antworten nicht schmeichelhaft sind. Resümee ziehen, auch wenn das Ergebnis nicht nur eitel Sonnenschein ist. Und genau das haben wir jetzt mal gemacht. Wir, das sind Tim Mälzer, Martin Behle und Jürgen Pichler. Und wie kam es dazu? Es war der Abend der LEADERS OF THE YEAR 2014. Tim, als Nominierter und auch Gewinner der Auszeichnung zum Gastronom des Jahres, und Martin, der die Patronanz für diese Kategorie innehielt, sowie Jürgen, Veranstalter des Awards, sprachen darüber, wie großartig unsere Branche ist. Dass da aber noch viel zu tun ist, noch mehr drin ist und es ein bisschen an dem richtigen Drive fehlt. Aus diesem Gedanken und gemeinsam mit Saskia Smeets wurde die Idee geboren, die kreativsten Köpfe des Landes aus Gastronomie, Design, Hotellerie und Industrie an einen Tisch zu holen, um den Status quo der Gastrobranche festzustellen und Wege zu finden, uns positiv zu verändern.
Genannt haben wir das „Circuit Culinair“. Weil die Gastronomie ein bisschen am Rad dreht, weil der Kopf rund ist, damit das Denken seine Richtung ändern kann, und weil es immer ein paar gibt, die einen Kreislauf in Gang setzen können. Und werden.
Es muss etwas passieren
Wie oft habe ich schon wahnsinnig inspirierende Gespräche mit Kollegen aus der Branche geführt? Doch wie das dann meistens so ist, geht man auseinander, ist hoch motiviert, etwas zu unternehmen, aber im Endeffekt geschieht dann wieder nichts. Daher wurde die Idee geboren, diesen sogenannten Circuit Culinair bei uns in der Bullerei zu veranstalten, um kreative wie innovative Geister aus den unterschiedlichsten Branchen zusammenzuführen und vielleicht etwas zu bewegen. Einen Startpunkt zu setzen. Keine große Revolution.
Nein, ich bin ja der Meinung, dass hier bei uns im deutschsprachigen Raum vieles sehr, sehr gut läuft. Doch sind wir global vorhanden? Setzen wir Trends? Nein! Ist man international unterwegs und spricht über das noma, Heston Blumenthal oder die Adrià-Brüder, kennt die jeder. Fragt man nach herausragenden deutschen Köchen, sieht man nur ein zögerliches Schulterzucken. Dabei herrscht zwischen dem Können, der Kreativität und der Qualität der Produkte gar kein Unterschied. Wir schaffen es anscheinend nur nicht, unsere Qualitäten zu kanalisieren, um diese dann international breitenwirksam an die Gäste zu bringen. Wenn man sich Länder wie Spanien oder Dänemark ansieht, kann man erkennen, dass hier eine eindeutig erkennbare kulinarische DNA vorliegt. Diese vermisse ich in unseren Breitengraden. Wir lassen uns nach wie vor viel zu sehr von den beiden großen Gastronomieführern diktieren, wie ein Teller auszusehen hat und welchem Trend wir hinterherlaufen sollen. Natürlich gibt es auch in unseren Landen leuchtende Ausnahmen. Hier fällt vor allem ein Tim Raue auf. Da kann man natürlich über seinen Typ oder anderen geschmacklichen Firlefanz rund um Geschmack und Co. diskutieren. Was aber eindeutig erkennbar ist, und das auf jedem Teller: seine mutige Handschrift. Und genau solche Typen, solche Charaktere sind auch in Zukunft gefragt, um die innovative deutschsprachige Küche mit wehenden Fahnen hi-naus in die weite Welt zu tragen. Dafür braucht man kulinarisch mutige Typen, die sich auch völlig neue Konzepte einfallen lassen. Sieht man sich die aktuellen kulinarischen Vorreiter an, sind diese Bewegungen von Privatpersonen ausgegangen. Ferran Adrià in Spanien. Claus Meyer in Dänemark.
Da hört man dann jedoch auch immer, dass diese Kulinarikwunder nur möglich waren, weil auch Vater Staat ordentlich in die Tasche gegriffen hat. Das mag sein, nur ständig den schnöden Mammon als Ausrede zu verwenden, lasse ich auch nicht gelten. Ich kann das jetzt zwar nicht belegen, aber ich bin mir sicher, dass es auch bei uns Förderungen gibt. Diese gehören nur richtig angezapft. Perfekt kanalisiert. Eine perfekt abgestimmte Synergie aus Politik, Landwirtschaft und Gastronomie geschaffen. Womit wir auch schon wieder beim eigentlichen Grund unseres Treffens, beim Circuit Culinair, wären: Man muss ganz einfach die richtigen Menschen kennenlernen oder weitervermitteln. So, dass die vielen Typen, die etwas bewegen wollen, aufeinandertreffen und dadurch neue Ideen sammeln können. Und vielleicht kann man dadurch ein neues Bewusstsein für die Kulinarik im deutschsprachigen Raum schaffen.
Dieser erste Circuit Culinair war vielleicht noch ein etwas unkoordinierter Anfang. Ein kreatives Chaos mit einem Open-table-Charme. Er war aber auch ein freier Thinktank, bei dem sich schon einiges in Bewegung gesetzt hat. Nun müssen wir das alles genauer definieren, um als kulinarische Nation griffiger zu werden!
Weisse Flecken auf der Karte
Viel diskutierter Dauerbrenner: Warum schaffen wir es nicht, internationale aussenwirkung zu erzeugen?
Das Jahr 2005 war wahrhaftig ein epochales für die kulinarische Welt. Denn in diesem Jahr gab der nordische Ministerrat den Impuls für das New-Nordic-Food-Manifest. Das klar definierte Ziel: die Herstellung und den Verbrauch von traditionellen Nahrungsmitteln zu fördern. Koch Claus Meyer hatte nämlich genug von miserabler Qualität und geschmacklosem, wenn auch klinisch perfektem dänischem Essen. Er beschloss, sich mit der Geschichte der landwirtschaftlichen Produktion zu beschäftigen, um zu verstehen, wie es so weit kommen konnte.
Darum unterzeichnete er mit Spitzenköchen aus den fünf skandinavischen Ländern ein 10-Punkte-Manifest der New Nordic Cuisine, einer neuen nordischen Küche, die statt Fleischbällchen in Sahnesauce und verkochtem Tiefkühlgemüse die Schätze der skandinavischen Region auf den Teller bringt: frischen Fisch, Krustentiere, Wild, aromatische Beeren und Kräuter, alte Gemüsesorten, die sich in den Wäldern, in den Seen, im Meer und in den Fjorden zwischen Dänemark und Lappland finden. Das noma war das Zentrum dieser Küchenrevolte.
Der Rest ist Geschichte und Skandinavien das neue Frankreich. Österreich setzt schon seit einer gefühlten Ewigkeit auf regionale Produkte und darf sich über extrem starke Produzenten freuen. Und Deutschland hat nach Frankreich die meisten Michelin-Sterne, wird international aber kaum wahrgenommen. Skandinavien, Südamerika oder auch Spanien, das ist Trend. In unseren Breitengraden wird zwar innovativ und individuell auf hohem Niveau gekocht, aber keiner im Ausland bekommt das mit.
Es fehlt die Außenwirkung, das Marketing. Auf die Frage eines Interviewers, was er denn vom deutschen Essen halte, antwortete einst Journalist, Bestseller-Autor und TV-Liebling Anthony Bourdain: „Das Problem in Deutschland ist, dass es an einer wirklichen Immigrantenkultur fehlt. Auch die guten Restaurants, die es heute in London gibt, wären ohne die Immigranten nicht denkbar. Ich liebe gutes deutsches Essen, aber jeden Tag? Horror!“ Und Bourdain hat bis zu einem gewissen Grad natürlich recht: Insbesondere Migranten aus Indien und afrikanischen Ländern haben dazu beigetragen, dass etwa die englische Küche sich der Welt wieder geöffnet hat und auf ein vergleichsweise hohes Niveau zurückgekehrt ist. Tatsächlich ist die typisch englische Küche im Alltag zugunsten einer postkolonial britischen Identität auf breitem Rückzug. Ein ähnliches Bild präsentiert sich bereits seit Jahrzehnten in den USA.
Und da wären wir auch schon bei einem wichtigen Punkt angekommen: Die Wahrnehmung der internationalen Gourmetwelt wird zu großen Teilen von angloamerikanischen Foodies dominiert. Vornehmlich Journalisten und Blogger. Und deren längst überholtes kulinarisches Bild des deutschsprachigen Kulinarikraums ist offenbar nur sehr schwer zu erneuern. Man verfolge nur einmal das Ranking The World’s 50 Best Restaurants. Diese Liste ist zweifellos das einflussreichste Restaurant-Ranking der Welt – es gäbe ohne diese Liste keinen Ferran Adrià und auch kein skandinavisches Küchenwunder mit dem noma als aktuelle Nummer eins des Rankings.
Fakt ist: Die Küche in unseren Breitengraden wird definitiv unter ihrem Wert geschlagen. Gekocht wird hervorragend, man schafft es aber nicht, das auch so zu kommunizieren! Das immer gleiche Schema bei uns lautet: zuschauen, was im Ausland gerade en vogue ist. Sogar die Teller kommen im ähnlichen Look wie bei den internationalen Vorbildern daher. Der eigene Stil fehlt noch. Die richtige Verpackung, eine schlüssige Kommunikation und tolle Teamplayer wären das Geheimnis. Touristen, die uns besuchen, verlangen nach spannenden Geschichten rund um ihre kulinarischen Abenteuer – auch um das, was sie erleben, weitererzählen zu können. In der Social-Media-Ära entsteht so die Vervielfältigung.
Einer ganz wichtigen Frage muss man sich vor allem in Österreich stellen: Warum ist die hiesige Küche irgendwann im Nirwana verschwunden? Im 19. Jahrhundert war die Wiener Küche die bedeutendste der Welt. Es ist doch Humbug zu glauben, dass sie und ihre enorme Vielfalt an Rezepten und Zubereitungen verschwunden ist. Es liegt aber bestimmt daran, dass sie nicht bewahrt und gepflegt wurde, in der Gastronomie ebenso wie in den Privathaushalten. Italien und Frankreich konnten ihr kulinarisches Erbe viel besser in die Gegenwart transportieren. Es gibt eine ertragreiche Geschichte, man muss nur den Mut haben, diese neu zu überdenken!
Dazu bräuchte man jedoch auf jeden Fall konstruktive nationale und internationale Pressearbeit, die geschlossen die eigene Fahne hochhält und, was ganz wichtig wäre: die Unterstützung von Politik und Wirtschaft. Kulinarische Top-Destinationen wie Spanien oder Dänemark demonstrieren schon seit Jahren, wie man so etwas erfolgreich umsetzt. Und auch Schweden hat die Zeichen der Zeit erkannt: Der schwedische Landwirtschaftsminister Eskil Erlandsson will sowohl die ländliche Infrastruktur als auch den Tourismus ankurbeln. In einem 7-Jahres-Programm, das mit rund drei Milliarden Euro dotiert ist, will man neue Arbeitsplätze in der Landwirtschaft schaffen sowie Landwirtschafts- und Gastronomiebetriebe unterstützen. Im Rahmen der Investition in den ländlichen Raum werden vor allem die Unternehmen entlastet. Ziel ist es, die administrative Last der Betriebe um 50 Prozent zu senken, um mehr Spielraum für Investitionen zu geben. Und genau so eine Unterstützung wäre auch in den deutschsprachigen Ländern extrem wichtig. Denn nur ein wachsender Tourismus bietet auch die Chance, sich als kulinarische Nation weiterzuentwickeln.
Die Außenwirkung fehlt
Wie kann man die deutsche Kulinarik besser darstellen? Mich bewegt diese Frage schon seit Jahrzehnten. Und ich erinnere mich auch noch sehr genau daran, wie die ältere Generation aus Italien, Frankreich, England oder Spanien eine gewachsene Antipathie gegen alles Deutsche aufgrund der Vergangenheit hatte. Diese mit der Nachkriegsküche vermischt, die hauptsächlich mit Nahrungsaufnahme zu tun hatte. Da ging es rein ums Überleben, mehr nicht. Im besten Fall gab es am Sonntag einen Braten mit viel Beilage, also große Knödel. Deshalb war es in den 60er-Jahren so etwas Besonderes, über die Grenzen zu gehen und trotz der vorhandenen Vorurteile einmal auf die Teller unserer Nachbarn zu schauen. Wie sehr hat mir der erste Schluck Edelzwicker (ein leichter, trockener Weißwein aus dem Elsass) in einem der ersten französischen Restaurants gleich nach der Grenze zu einer Pâté de campagne mit gegrilltem Brot geschmeckt! Und dann die Einladung Ende der 60er-Jahre zu den Gebrüdern Haeberlin ins Auberge de l’Ill.
Das hat an meinen deutschen gastronomischen Grundfesten gerüttelt. Und genau zu diesem Zeitunkt habe ich mich dafür entschieden, den Köchen, aber auch den ambitionierten Menschen in den ehemaligen Gegnerländern die Hand zu reichen, um sie zu bitten, mir etwas von ihrer Erfahrung weiterzugeben. Und ich habe extrem viel dadurch gelernt. Doch nicht nur kochen! Mit Neugier zu entdecken. Alte und neue Traditionen aus anderen Ländern zu erlernen. Menschen und ihre Geschichte besser zu verstehen. Aus der Vielfalt der Spezialitäten von Menschen und Regionen zu lernen sowie zu verstehen. Nur dadurch kann man wirklich interpretieren, alles andere ist nur nachgekocht und damit leblose Kopie. Kochen ist Spaß, Freude, Kommunikation, Passion und letztlich Liebe. Und wenn wir es weiterhin schaffen, mit Begeisterung unsere Identität zu verfeinern, nicht zu verlieren oder preiszugeben, dann sind wir überall auf der Welt die Botschafter, die die heutige deutsche Küche verdient hat. Dann können wir uns sympathisch bescheiden neben die Großen der Welt stellen und sind wahrhaftig und selbstverständlich in deren Gemeinschaft.
Wo bleibt der Nachwuchs?
Uns gehen die Mitarbeiter aus: die Branche muss ein starkes Image aufbauen und für die Zukunft ihren Fachkräftebedarf sichern.
Eine Branche stirbt aus. Was nach einer typischen Bild-Zeitung-Headline klingt, ist jedoch dramatische Realtität. Die Zahl der Ausbildungsverhältnisse im Gastgewerbe in Deutschland ist auch 2014 wieder gesunken. Noch erschreckender ist der Blick auf die Grafik auf der nächsten Seite: Sieht man sich nämlich die Statistik des Deutscher Industrie- und Handelskammertags e. V. an, wird einem ob des dicken Minus regelrecht schwindlig. Betrug die Summe aller gastgewerblichen Ausbildungsberufe 2004 noch 42.655 Ausbildungsverträge, ist diese Zahl im Jahr 2014 auf 25.908 geschrumpft. Die immer gleichen Erklärungsversuche: Arbeitszeiten, schlechte Bezahlung und der oft raue Ton in der Küche schrecken viele ab. Doch ist mit diesen Floskeln auch der wahre Kern des Problems getroffen? Das Problem ist offensichtlich viel tiefer in der breiten Bevölkerung verankert. Kinder und Jugendliche interessieren sich kaum für gesundes Essen. Viele geben einen Großteil ihres Taschengeldes, häufig bis zu 20 Euro pro Woche, an Imbiss-Buden und in Fast-Food-Ketten aus. Dort drängen sich gerade in der Mittagszeit die Schüler, haben Ernährungswissenschaftler beobachtet. Milchschnitten, Pommes und Cola werden von Kindern und Jugendlichen für gesünder gehalten, als sie tatsächlich sind. Zudem ersetzen Tiefkühlkost und Fertiggerichte, die in der Mikrowelle schnell erwärmt werden und deren Inhaltsstoffe man nicht kennt, in vielen Familien die selbst zubereitete Mahlzeit. Die Lebensmittelwerbung, für die Kinder eine wichtige Zielgruppe sind, tut ein Übriges. Auch in Kitas und Schulen kommt meist Essen aus Großküchen auf den Tisch. Schulküchen gibt es nur noch selten. So entsteht leider ein unglaublicher Wissensverlust, der zur Folge hat, dass Jugendliche vom Geschmacksdiktat der Fertignahrung und der Lebensmittel-Giganten abhängig werden. Gegensteuern kann man aus Sicht vieler Spitzenköche und Top-Gastronomen durch ehestmögliche Nahrungsbildung: Schulküchen und das Unterrichtsfach Ernährungskunde müssten dafür sorgen, dass junge Menschen wieder kochen lernen. In ein bis zwei Generationen ist es zu spät.
Es gibt aber trotz aller Missstände immer wieder erfreuliche Entwicklungen. Auch hierzulande steigt die Zahl an kulinarisch interessierten Menschen, die jene Produkte wieder schätzen, die vor Ort wachsen oder produziert werden. Aber meist passiert das eben erst, nachdem ins Ausland geschaut worden ist. Irgendwie scheint es fast so, als würde man der eigenen Urteilskraft nicht trauen. Der Prophet im eigenen Land ist eben auch kulinarisch weniger wert. Davon können viele Spitzenköche, die erst nach einem erfolgreichen Auslandsaufenthalt wieder mit offenen Armen aufgenommen wurden, bestimmt ein Lied singen. Was fehlt, sind das Bewusstsein für und der Stolz auf gutes Essen. Damit haben etwa Italiener, Franzosen, aber auch Spanier oder Skandinavier weit weniger Probleme. Essen ist dort auch historisch ein wichtiges Thema, auf das man stolz ist. Darum ist es primär wichtig, ein breites Selbstbewusstsein für die landestypische Kulinarik zu schaffen, um auch den gastronomischen Berufsstand wieder attraktiver zu machen.Und wer rückt aktuell an die Stelle fehlender Lehrlinge? Arbeitskräfte aus Osteuropa. Kein Betrieb kann sich als Ersatz Fachkräfte leisten. In Osteuropa gibt es viele gut ausgebildete, sprachlich begabte und dienstleistungsorientierte Leute. In Deutschland dagegen ist die Suche in dieser Hinsicht schwierig geworden. Jugendlichen fehlt es dabei meist nicht an Interesse. Aber wenn sie ihren Eltern erzählen, dass sie eine Lehre im Service machen wollen, sind diese oft entsetzt. Das Image ist schon stark angekratzt.
Vor allem die Hotellerie hat dazu beigetragen, indem sie viele ihrer Berufssparte zu wenig wertschätzt. Hilfskräfte machen Arbeiten, die Fachkenntnisse erfordern. So fehlt es meist an geschultem Personal, das den Lernenden etwas beibringen kann. Mit der Qualität der Dienstleistung sinkt das Image eines Berufs. Um Jugendliche für eine Lehre zu begeistern, ist es also wichtig, sich mit positiven Themen ins rechte Licht zu rücken. Werden nämlich stets nur die Schwierigkeiten betont, gilt schnell die ganze Branche als problematisch. Warum werden statt der unregelmäßigen Arbeitszeiten nicht einmal auch die Entwicklungschancen in den Mittelpunkt gestellt?
Dass man etwa in der Hotellerie grandiose Möglichkeiten hat, zeigt der Weiterbildungskatalog: In allen Sparten gibt es spezialisierte Weiterbildungen sowie Bachelor-, Master- oder Nachdiplomstudiengänge. Wer also arbeiten und seine Wege dennoch offenlassen will, ist im Gastgewerbe perfekt bedient.
Neue Rahmenbedingungen für den Nachwuchs
Gott fragte die Steine: Steine, was wollt ihr werden? Die Steine antworteten: Köche. Und Gott sprach: Steine, ihr seid nicht hart genug. Kochen ist wie Sex am Herd. Du musst vor Leidenschaft brennen. Sätze wie diese kommen uns doch allen bekannt vor. Das ist vorherrschende Sicht- und Lebensweise.
Aber was steht für einen Heranwachsenden beziehungsweise jungen Erwachsenen an erster Stelle, was hat Priorität? Warum ändern wir nicht mal die Perspektive und betrachten den Lehrberuf Koch aus Sicht eines Heranwachsenden, der sich für eine Ausbildung entscheiden soll? Arbeitszeiten, Beziehungstauglichkeit, Bezahlung, Job-Sicherheit, Anerkennung, Arbeitsklima, Aufstiegschancen. Da gibt es sicherlich auf den ersten Blick bessere Alternativen. Das Ansehen des Kochberufes liegt immer noch nicht auf einem der vorderen Ränge. Dabei kann ein Koch so viel mehr leisten und hat so viele Möglichkeiten. Warum beginnen wir nicht, mehr Einfluss zu nehmen auf unser kulinarisches Kulturgut? Fangen wir an den Schulen an, Aufklärung über Essen und Gesundheit, vom Saatgut bis zum Tischgedeck. Für uns ist das klar: Essen ist Gesundheit. Bis zu 75 Prozent aller Krankheiten können auf falsche Ernährung oder Nahrungsmittel zurückgeführt werden.
Machen wir den Beruf nicht nur sexy, sondern auch gesellschaftlich wertvoller. Leider ist die Motivation für den Beginn einer Ausbildung sehr, sehr unterschiedlich. Es gibt sie, Zehnjährige, die beginnen, Kochbücher auswendig zu lernen, 15-Jährige, die in Pop-up-Restaurants Menüs kochen. Jedoch sollten wir das Gros der Ausbildungsanfänger im Blick haben. Die betrieblichen Rahmenbedingungen für den Nachwuchs müssen passen. Ausbilder sollen lehren, Auszubildende sollten wirklich lernen, sollten die Möglichkeit bekommen, sich einzubringen. Motivation durch Verantwortung, Möglichkeit, an Wettbewerben teilzunehmen, Anerkennung und Aufmerksamkeit, Job-Tausch mit Auszubildenden anderer Gastronomierichtungen und auch ein freies Wochenende. Auszubildende zu schleifen und als billige Mitarbeiter einzusetzen, ist sicherlich nicht der zeitgemäße Weg. In keinem anderen Handwerksgewerbe in Deutschland sind die Einstiegshürden so niedrig wie in der Gastronomie. Somit kann jeder, der sich für hart genug, leidenschaftlich und Sex-am-Herd-besessen hält, eine Gas-tronomie eröffnen. Und nicht nur dort verrichten ungelernte Hilfskräfte, die sonst schwer einen anderen Job finden, einen Teil der täglichen Arbeit. Ob in der Sterneküche oder beim Betriebsverpfleger, ein Blick über den eigenen Tellerrand ist angebracht. Vielleicht ist es Zeit, das Berufsbild und die Berufsausbildung zu differenzieren.
Wake up all the teachers time to teach a new way
Maybe then they’ll listen to whatcha have to say
Cause they’re the ones who’s coming up
and the world is in their hands
when you teach the children
teach ’em the very best you can.
The world won’t get no better if we just let it be
The world won’t get no better we gotta change it, yeah,
just you and me
(Harald Melvin and The Blue Notes)
1 Eindringliche Diskussion: Bernd Schwang (li.) vom Bundesministerium für Ernährung (li.), Katz-Orange-Eigentümer Ludwig Cramer-Klett (Mi.) und Oliver Wirtz (re.) von Sundance Communications 2 Begeisterter Mitveranstalter: ROLLING PIN-Herausgeber Jürgen Pichler 3 In seinem Element: Gastgeber Tim Mälzer 4 Gesprächsfreudig: Katz-Orange-Eigentümer Ludwig Cramer-Klett (li.) 5 Im Diskurs: Chefs-Culinar-Verkaufsleiter Florian Pelzer (li.) und Albers-Food-Eigentümer Frank Albers (re.) 6 Wertvolle Notizen: Die wichtigsten Punkte wurden auch auf Papier gebracht 7 Hitzige Debatte: Christian Krüger, Chefkoch im Restaurant Axt (li.), und Axel Hluchy, Chef von Metro Cash & Carry Deutschland (re.) 8 Auf Zack: das Bullerei-Team in Aktion 9 Konzentriert: Fritz Treiber vom Geschmackslabor Graz (li.) und Foodhunter Dietmar Spriwald (re.) 10 In packende Gespräche vertieft: tian-Geschäftsführer Klaus Baumgartner (li.) und Fischerklause-Eigentümer sowie Cordobar-Miteigentümer Gerhard Retter (re.) 11 In seinem Element: Bullerei-Küchenchef Michi Wolf beim Tranchieren eines kleinen fleischlichen Happens.
12 Mitten im Geschehen: Münchens Gastromäzen Stephan Kuffler
13 Wilde Kerle: Der (Groß)vater der JUNGEN WILDEN Stefan Marquard (li.) und Herdlegende Otto Koch (re.) 14+19 Informative Niederschrift: die Geistesblitze zum Nachlesen 15 Inspiriert: Beef-Buddy Lucki Maurer (re.) beim Fachsimpeln 16 Gesprächsfreudiger TV-Star: Tim Mälzer (Mi.) im eindringlichen Talk mit Bernd Schwang (li.) vom Bundesministerium für Ernährung und Oliver Wirtz (re.) von Sundance Communications 17 Gibt keine Autogramme: Foodexperte Ralf Bos beim Gedanken-zu-Papier-Bringen 18 Mann mit Prinzipien: Head of Wiberg Academy & Brand Ambassador Culinary Thomas M. Walkensteiner 20 Hochgradig involviert: Ulf Tassilo Münch von Nippon Food Experts (li.) und Marcus Beck (re.), Personalleiter des Europa-Park-Resorts 21 Aufmerksame Gesprächsrunde: Mitveranstalter und Manitowoc-Geschäftsführer Martin Behle (li.), Mercado-Küchenchef Alex Theil (Mi.) und Hamburg-Tourismus-Kommunikationsleiter Sascha Albertsen (re.) 22 Inspirierendes Gespräch: Sodexo-Deutschland-CEO Adrienne Axler (li.) und Kollege Sven Sommer (re.) .
1 Geistreiches Trio: Convotherm-Geschäftsführer Martin Behle (li.), Koch-Punk Stefan Marquard (Mi.) und die deutsche Ikone Otto Koch (re.) 2 Im Zentrum des Geschehens: Axel Ohm, Chef des Braugasthauses Altes Mädchen (Mi.) 3 Grinsekatzen: Craft-Beer-Pionier Rui Esteves (li.) und Hamburgs Multigastronom Patrick Rüther (re.) 4 Inspirierendes Tête-à-tête: Sternekoch Dennis Maier (li.) und Marcus Beck (re.), Personalleiter des Europa-Park-Resorts 5 Entspannter Expertentalk: Bernhard Moser (li.) von eat! berlin und Imago-Geschäftsführer Stefan Thalhammer (re.) 6 Erfolgstypen: Münchens Gastromäzen Stephan Kuffler (li.) und Oliver Wendel (re.), Geschäftsführer der Kofler & Kompanie GmbH 7 Amüsiertes Duo: Hackl-GmbH-Geschäftsführer Hubert Hackl (li.) und Oliver Ernst (re.), Geschäftsführer von menadwork München 8 Weise Worte: je später der Abend, desto voller die Infomauer 9 Aktiv dabei: Sternekoch und TV-Star Alexander Herrmann 10 Vertieft: Axel Hluchy, Chef von Metro Cash & Carry Deutschland.
11 Fokussiert: Auracher-Löchl-Eigentümer Richard Hirschhuber 12 Flotte Runde (v. li. n. re.): Christian Schwamkrug, Design-Direktor bei Porsche Design Studio, Katharina Morcom, Communication Manager bei TUI Cruises und Holger Beeck, CEO McDonald’s Deutschland 13 Gestandenes Mannsbild: Bullerei-Betriebsleiter Tom Rossner im Diskurs 14 Spannender Talk: Saskia Smeets, Director Field Marketing der Marken Convotherm und Merrychef (re.) und Andreas Rabenseifner, Assistenz Verkauf International der Albert Kerbl GmbH (Mi.). 15 Kamerateam in Aktion: Moderator Michael Weinmann (re.) und Kameramann Andreas Ruhs (li.) 16 Geselliges Face-off: Lohberger-Geschäftsführer Reinhard Hanusch (li.) und Sternekoch Tommy R. Möbius (re.) 17 Flüsterstunde: ROLLING PIN-Redakteur Georg Hoffelner (li.) und Pâtisserie-Walter-Eigentümer Udo Walter (re.) 18 Interessierter Blick von außen: Christian Schwamkrug, Design-Direktor bei Porsche Design Studio 19 Spannende Ansichten: Patrik Jaros, Präsident des Bocuse d’Or Germany (li.), und Anja Vollrath, Manager Brand Marketing Convotherm & Merrychef (re.) 20 Kurz und bündig: Stefan Marquards Ansatz 21 Bezaubernde Tischdame: ROLLING PIN-Redakteurin Marion Wolf (li.) mit der illustren Gästeschar.
Conclusio
Ein erster Schritt ist mit den neuen Arbeitszeitmodellen schon getan. Zusätzlich muss sich etwas an der Bezahlung ändern. Damit die Gehälter hierzulande steigen, müssen aber auch die Restaurantbesucher mitziehen.
Ohne staatliche Förderung wird es kein Vorankommen geben! Während etwa in Skandinavien Hunderte Millionen ausgegeben werden, um sich als kulinarische Nation weiterzuentwickeln, macht im deutschsprachigen Raum dafür leider niemand einen Cent locker.