Fatih Tutak: Der Schatzsucher im türkischen Terroir
Hier also soll Europa enden. Und auf der anderen Seite des Stroms schon Asien beginnen. Wobei: Der Bosporus ist ja strenggenommen kein Strom. Sondern eine Meerenge. Und als solche trennt sie nicht nur den europäischen Kontinent vom asiatischen, sondern verbindet auch das Schwarze Meer mit dem Marmarameer. Kurz: Der Bosporus macht aus Istanbul einen einzigartigen Schmelztiegel unterschiedlichster Kulturen. Asien oder Europa? Ganz gleich! Hier fließt alles ineinander – und bringt seit Jahrhunderten immer wieder Neues hervor.
Hier also soll Europa enden. Und auf der anderen Seite des Stroms schon Asien beginnen. Wobei: Der Bosporus ist ja strenggenommen kein Strom. Sondern eine Meerenge. Und als solche trennt sie nicht nur den europäischen Kontinent vom asiatischen, sondern verbindet auch das Schwarze Meer mit dem Marmarameer. Kurz: Der Bosporus macht aus Istanbul einen einzigartigen Schmelztiegel unterschiedlichster Kulturen. Asien oder Europa? Ganz gleich! Hier fließt alles ineinander – und bringt seit Jahrhunderten immer wieder Neues hervor.
Es ist also kein Zufall, dass Fatih Tutaks Restaurant genau hier angesiedelt ist. Im „Turk Fatih Tutak“ bringt der 38-jährige Istanbuler das, was man neue türkische Küche nennen könnte, weltweit zum Strahlen. Der Guide Michelin zeichnete ihn – als ersten Koch der Türkei überhaupt – vergangenes Jahr mit zwei Sternen aus. Gourmets pilgern aus aller Welt hierher, um die türkische Küche neu zu entdecken: Einzigartige Produkte, altehrwürdige Traditionen, kühne Techniken – mit alledem ist Fatih Tutak das Aushängeschild der türkischen Küche der Zukunft geworden. Wie ist ihm das gelungen? Und welche Produkte machen die neue türkische Küche so besonders?
Von Mengen in die Welt hinaus
Fatih Tutak gehört zu jenen Köchen, die nie etwas anderes machen wollten als zu kochen. „Mit neun begann ich, meiner Mutter ganz genau in der Küche zuzuschauen und begleitete sie jedes Wochenende zum Markt“, erinnert er sich an seine Istanbuler Kindheit. Ein kochbegeisterter Jugendlicher in der Türkei hat in der Regel einen einzigen Traum: Mengen.
Ich wollte einen Ort für die Zukunft der türkischen Küche schaffen.
Fatih Tutak über die Gründung seines bahnbrechenden Restaurants in Istanbul
Die 5.000-Einwohner-Stadt in der Provinz Bolu liegt gut drei Autostunden östlich von Istanbul – und beherbergt die prestigeträchtigste Kaderschmiede des Landes für Köche. Tutak lernte dort, was es heißt, gut zu kochen. Und gleichzeitig war seine Neugierde geweckt für all das, was außerhalb der Türkei so kulinarisch vor sich geht. China, Japan, Singapur, Dänemark und Hongkong – Tutak suchte wie ein Rastloser nach immer neuen Impulsen und Herausforderungen. Die fand er auch in Häusern wie dem legendären Drei-Sterne-Tempel Nihonryori Ryugin in Tokio oder dem mehrmals zum besten Restaurant der Welt gekürten Noma in Kopenhagen. Doch der erste große Erfolg stand noch bevor – und sollte seiner Karriere zugleich eine überraschende Wendung geben.
Inspiration als Erfolgsgeheimnis
Im The Dining Room at The House on Sathorn in Bangkok machte Tutak das, worum es ihm beim Kochen eigentlich immer schon gegangen war: „Eine Form von Freiheit ausleben, die mir erlaubt, jeden Tag etwas Neues zu tun und mich dabei selbst auszudrücken“, wie er es selbst sagt.
„Bei uns kann man auch die Muschelschale essen!“
Dass er in der thailändischen Metropole damit so erfolgreich war, hat einen einfachen Grund: All die Eindrücke, die er in den vorangegangenen Jahren gesammelt hatte, waren eine schier unerschöpfliche Inspirationsquelle, um Neues zu schaffen. Und so jonglierte der frischgebackene Head Chef virtuos mit japanischen Zubereitungstechniken und Produkten, chinesischen Geschmackswelten, nordischen Fermentationstechniken und klassisch französischem Handwerk. Das gefiel den reisefreudigen Gourmets, die Bangkok schon damals als innovative Fine-Dine-Metropole für sich entdeckt hatten.
Im renommierten Asia’s 50 Best Restaurants Ranking 2017 katapultierte Tutak das Restaurant auf Platz 36, im thailändischen Guide Michelin holte er sogar einen Stern. Und das war nur der Anfang. Im The Dining Room hätten mit Sicherheit weitere Erfolge auf Tutak gewartet. Ein Platz in den Top 20 der Asia’s 50 Best Liste vielleicht? Ein zweiter Stern? Gut möglich. Nur: Tutak wollte nach Hause. Warum?
„Weil ich zurück wollte zu meinen Wurzeln. So größenwahnsinnig das auch klingt, aber ich war ab einem gewissen Zeitpunkt geradezu besessen von der Idee, einen Ort für die Zukunft der türkischen Küche zu schaffen“, erklärt er. Im Dezember 2019 öffnete sein Restaurant in Istanbul seine Pforten. Das Ziel: Die türkische Küche weltweit zum Strahlen zu bringen. Wie? „Indem wir sie als Team von Grund auf erforschen, weiterentwickeln – und ihr mit neuen Ansätzen das gewisse Etwas verleihen.“
Von Muscheln und Feigenkakteenblüten
Das gewisse Etwas, das verleiht der türkische Herdmagier seinen Gerichten beispielsweise mit sogenannten Tarhanas. Das sind vergorene Trockenmischungen aus Joghurt, Mehl und unterschiedlichen Gemüsesorten, die ihnen den entsprechenden Geschmack geben.
„Wir setzen unsere Tarhanas in erster Linie als Umami-Booster ein“, erklärt der Herdtüftler. „Wir machen sie also gerne mit umamireichen Produkten wie Zwiebeln, Pilzen oder Tomaten. Außerdem machen wir daraus auch Pasten, um unterschiedlichste Lebensmittel länger haltbar zu machen und subtil zu aromatisieren.“
Mit Kombu-Dashi vermischt, ergibt das eine Molasse, die an Soja-Sauce erinnert!
Ohne seine typisch türkischen Tarhanas wäre Fatih Tutaks Küche eine andere
Ausgerechnet Tutaks Tarhana-Fetisch brachte ihn schließlich dazu, ein türkisches Evergreen-Produkt völlig neu zu entdecken: die Aubergine. „Sie ist allgegenwärtig in der türkischen Küche, das macht es aber auch schwer, sie wirklich neu zu interpretieren“, erklärt er. Doch mit seinem Gericht The Aubergine, Büffelmilch, Joghurt und Tomate ist ihm das nach vielen Versuchen eindrucksvoll gelungen.
„Die Aubergine wird zuerst geschält, dann mit Salz und Zucker eingerieben und anschließend 24 Stunden lang in Himalayasalz gepresst, um das gesamte Wasser und die Bitternoten zu entfernen. Das Auberginen-Tarhana-Pulver haben wir anschließend mit Kombu-Dashi vermischt und es zu einer Molasse herunterreduziert – das erinnert geschmacklich an eine Soja-Sauce! Damit wird die Aubergine dann eingerieben, bevor wir sie kurz frittieren und dann mit Kirschholz räuchern. Das ergibt ein völlig neues Geschmackserlebnis!“
Das virtuose Spiel zwischen traditioneller und innovativer Zubereitung typisch türkischer Produkte treibt Tutak mit seinen Dolma-Muscheln auf die Spitze. „Die Tradition will es, dass Miesmuscheln mit einer Reismischung gefüllt werden. Aber wir machen das so, dass sie als essbare Schale serviert werden.
Wir tüfteln seit Langem daran – eines Tages schaffen wir es!
Fatih Tutak über die schwierige Zubereitung von Feigenkakteenblüten
Dafür wird das Muschelfleisch verrührt, zu einer flachen Paste verarbeitet und dann innerhalb der Muschelschalen dehydriert, damit es deren Form annimmt. Die Füllung besteht aus Reis, aber auch aus Bier-Mayonnaise und einem kräftigen Umami-Dashi. Diese Füllung wird in Weinblätter gewickelt, die wir immer im Frühling pflücken und dann einlegen. Diese gefüllten Weinblätter legen wir in die essbaren Muschelformen hinein, sodass das Gericht wieder ganz traditionell aussieht – aber eben geschmacklich einen Schritt weitergeht.“
Immer einen Schritt weitergehen, das kann aber beizeiten ganz schön knifflig sein. Tutak verdeutlicht das abschließend anhand der Feigenkakteen-Blüten. „Feigenkakteen gibt es zuhauf hier in der Türkei, deswegen arbeiten wir seit Monaten daran, ihre Blüten sinnvoll zuzubereiten. Wir experimentieren dafür viel mit Fermentationstechniken, aber ich muss gestehen: Das Ergebnis ist noch immer nicht zufriedenstellend.
„Es muss nicht nur schmecken, sondern auch wirklich etwas Neues, Bereicherndes sein. Aber ich bin mir sicher: Eines Tages werden auch die Feigenkakteenblüten in unserem Menü sein. Es ist nur eine Frage der Zeit.“
Fatih Tutak
1985 in Istanbul geboren, machte Fatih Tutak seine Ausbildung an der türkischen Elite-Kochschule in Mengen und arbeitete unter anderem mit René Redzepi und Seiji Yamamoto. 2015 wurde er Head Chef im The Dining Room at The House on Sathorn in Bangkok, wo er erstmals mit einem Stern ausgezeichnet wurde und andere große Erfolge feierte. Im Dezember 2019 eröffnete er sein erstes eigenes Restaurant in Istanbul. Dort zelebriert er auf zeitgemäße Art und Weise die Vielfalt der türkischen Küche und wurde im vergangenen Jahr mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet.