Null komma null: Darum sind alkoholfreie Bars ein zukunftsträchtiger Trend
Sober Curiosity
Die fetten Jahre des Hedonismus sind, so scheint es, vorbei. Im Restaurant unbekümmert rauchen, am Familientisch den saftigen Schweinsbraten zelebrieren, in Bars den Kellnerinnen als Dank einen augenzwinkernden Poklatscher verpassen – alles Relikte einer sorglosen Vergangenheit, in der man noch tun und lassen konnte, was man wollte. Als wäre das nicht genug, tragen wir alle dank Greta Thunberg auch noch die klimapolitische Erbsünde in uns – und müssen, so ganz nebenbei, unsere Sprache der um sich wütenden political correctness unterwerfen. Ob das alles nach dem versprochenen Paradies oder Hölle inklusive Fegefeuer klingt, mag jeder, pardon: jede_r für sich selbst entscheiden.
Sober Curiosity
Die fetten Jahre des Hedonismus sind, so scheint es, vorbei. Im Restaurant unbekümmert rauchen, am Familientisch den saftigen Schweinsbraten zelebrieren, in Bars den Kellnerinnen als Dank einen augenzwinkernden Poklatscher verpassen – alles Relikte einer sorglosen Vergangenheit, in der man noch tun und lassen konnte, was man wollte. Als wäre das nicht genug, tragen wir alle dank Greta Thunberg auch noch die klimapolitische Erbsünde in uns – und müssen, so ganz nebenbei, unsere Sprache der um sich wütenden political correctness unterwerfen. Ob das alles nach dem versprochenen Paradies oder Hölle inklusive Fegefeuer klingt, mag jeder, pardon: jede_r für sich selbst entscheiden.
Was also hat es mit dem neuen Nüchternheitsfetisch auf sich? War’s das für das große Geschäft mit dem Alkohol? Und wie werden alkoholfreie Cocktails, kurz: Mocktails hergestellt?
Fest steht jedenfalls, dass so mancher Trend selbst den hartgesottensten Gesellschaftsprogressiven schlucken lässt. Neuestes Beispiel: Sober Curiosity. Sober was? Sagen wir’s auf Deutsch: „Nüchtern neugierig“. Gut, klingt auch blöd. Dann so: Alkoholfreies Saufen. Cocktails mit null Prozent. Durchzechte Nacht ohne Kater danach. Mit Freunden anstoßen und dabei gesundheitlich einen drauf machen. Echt jetzt? Ja, echt jetzt. Und so sperrig Sober Curiosity auch klingt, erfasst dieser Begriff lediglich beinharte Sachverhalte. Der Verkauf von alkoholfreiem Bier steigt und steigt, während alkoholfreie Bars in den USA wie Pilze aus dem Boden sprießen. Was also hat es mit dem neuen Nüchternheitsfetisch auf sich? War’s das für das große Geschäft mit dem Alkohol? Und wie werden alkoholfreie Cocktails, kurz: Mocktails hergestellt?
Cherchez la femme
Eine jener politisch inkorrekt gewordenen Redewendungen, die ob ihres bevorstehenden Verschwindens hiermit ein letztes Mal bemüht werden soll, könnte den Exkurs nicht besser einleiten: „Cherchez la femme“, zu Deutsch sinngemäß: „Da steckt eine Frau dahinter!“, und das tut es bei Sober Curiosity tatsächlich: Es war die New Yorker Journalistin Ruby Warrington, die im Jahr 2018 einen Beststeller mit dem vielversprechenden Titel: „Sober Curious: The Blissful Sleep, Greater Focus, Limitless Presence, and Deep Connection Awaiting Us All on the Other Side of Alcohol“ – puh! – veröffentlichte. Und die Frau wusste, was sie tat.
Denn schon drei Jahre zuvor hatte die trockene Britin eine hocherfolgreiche Veranstaltungsreihe namens Club Söda NYC gestartet, wo Teilnehmer in Workshops und Gesprächsrunden den eigenen Alkoholkonsum kritisch hinterfragen konnten. Der Rest ist mittlerweile Geschichte. Bars wie die Getaway oder die Listen Bar in New York, The Virgin Mary in Dublin oder die drei Redemption Bars in London beweisen: Das Geschäft mit der Gesundheit hat auch das Nachtleben erreicht. Warum ist dieses Geschäftsmodell so erfolgreich? Was genau wird in den Sober-Bars serviert? Und können die alkoholfreien Cocktailkreationen mit ihren hochprozentigen Pendants tatsächlich mithalten?
Pro choice
„Alkohol hat wirklich ein Monopol darauf, wie wir miteinander socialisen und unsere wertvolle Zeit gestalten, in der wir frei und ausgelassen sein wollen“, so Lorelei Bandrovschi, die Gründerin der New Yorker Listen Bar, kürzlich zu NBC News. „Aber oft kommt er uns in eben dieser Zeit auch stark in die Quere.“ Das allein reicht freilich nicht aus, um den Erfolg ihrer Bar ausreichend zu beschreiben. Warum aber funktioniert das alkoholfreie Konzept der Listen-Bar in einem Ausmaß, wie es vor, sagen wir, 20 Jahren wahrscheinlich nicht funktioniert hätte?
„Social Media ist riesig geworden“, so Bandrovschi, „für viele Leute wird es damit immer einfacher, auch Nischenprodukte zu entdecken, die sie interessieren und durch die sie sich mit anderen Leuten connecten können. Außerdem leben wir kulturell gesprochen in einer Zeit, in der jeder sein Leben so gestalten will, wie es sich für ihn richtig anfühlt.“ Klar, es gibt Tage, Abende und Nächte, da hilft nur ein Glas oder eine Flasche harter Wodka. Das weiß auch der Großteil der Sober-Bar-Klientel. Denn wer glaubt, dass dort lediglich eine verschworene Gemeinschaft von Antialkoholikern Zitronenwasser süffelt, unterschätzt dieses neuartige Gastro-Phänomen maßlos. „Es geht darum, die Auswahl zu haben“, so Bandrovschi. Und wie diese Auswahl aussehen und vor allem schmecken kann, das lässt sich auch am Beispiel der Kreationen der Redemption-Bars in London ausmachen.
Keine verhärteten Fronten
Die Kreation Choose Life Party Punch besteht aus püriertem Wassermelonenfleisch, Kokoswasser-Kefir, Limettensaft, Mineralwasser – und etwas Minze zum Garnieren. Auch kein Kind von beschwipsten Barkeepern: die nüchterne Neuauflage des Cosmopolitan: Cranberry-Saft, Orangensaft, Zitronensaft, Kokosnusswasser, Eis – und Birch-Sirup. Letzteres ist das Pendant zum normalen Zuckersirup, mit dem der gemeine Cocktail in der Regel gesüßt wird. Die Sober-Nerds der Redemption-Bars hingegen stellen diesen Sirup aus dem Zuckeraustauschstoff Xylitol und Wasser her – das Ergebnis, so die Redemption-Bar-Macher, ist dasselbe, nur eben diabetikergeeignet.
Man sieht: Auf allzu zuckrige Großkonzernsäfte wird großteils verzichtet, und der Gesundheitsaspekt bleibt nicht auf das Auslassen von Alkohol beschränkt. Verdeutlicht auch das letzte Redemption-Bar-Säftchen: Blood Orange, Basile and Thyme Kombucha ist zwar selbsterklärend, die funkelnde Bitteraromatik aber so überraschend, dass der Geschmackshorizont jenseits vom hochprozentigen Gut- und Böse-Diskurs gesprengt wird. Das ist es vielleicht auch, was vom Sober-Curiosity-Trend ausgeht: Man glaubt es anfangs kaum, doch in diesem immer größer werdenden Nischentrend kann von verhärteten Fronten nicht die Rede sein – auch, weil im Gegensatz zum Vegan-Trend nicht auf Imitate gesetzt wird, sondern das nicht-alkoholische Original für sich stehen kann.
Sober Curiosity also nicht als militante Verdrängungsmaschinerie des klassischen Alkoholkonsums, sondern als aromatische Erweiterung des gesundheitsorientierten Freizeitangebots? Scheint so, als stünde es doch nicht so schlecht um den Hedonismus. Und wer weiß, vielleicht liegen die wirklich fetten Jahre erst vor uns.