„Gastronomie in ethischem Grenzgang“: Harry Gatterer vom Zukunftsinstitut im Exklusivinterview
Optimist? Realist!
Jetzt den Kopf in den Sand zu stecken, ist für den Zukunftsforscher und Unternehmensberater Harry Gatterer keine Option. Stattdessen müssten Unternehmer langfristige Visionen entwickeln – und Investitionen tätigen. Der Gastronomie hingegen könnte ihre bisherige Corona-Taktik zum Verhängnis werden.
Herr Gatterer, es ist überall von der „Welt nach Corona“ die Rede, auch von der „neuen Normalität“. Ist da Übertreibung im Spiel? Steht für Sie wirklich fest, dass die Arbeitswelt nach Corona eine andere sein wird?
Harry Gatterer: Corona hat ja die Arbeitswelt bereits verändert. Diese Nachhaltigkeit wird sicher spürbar sein. Einerseits haben wir einen absoluten Crashkurs im Digitalen gemacht. Das heißt, wir haben im Grunde über Nacht ganz neu gelernt, mit technischer Infrastruktur klarzukommen und damit zu arbeiten.
Optimist? Realist!
Jetzt den Kopf in den Sand zu stecken, ist für den Zukunftsforscher und Unternehmensberater Harry Gatterer keine Option. Stattdessen müssten Unternehmer langfristige Visionen entwickeln – und Investitionen tätigen. Der Gastronomie hingegen könnte ihre bisherige Corona-Taktik zum Verhängnis werden.
Herr Gatterer, es ist überall von der „Welt nach Corona“ die Rede, auch von der „neuen Normalität“. Ist da Übertreibung im Spiel? Steht für Sie wirklich fest, dass die Arbeitswelt nach Corona eine andere sein wird?
Harry Gatterer: Corona hat ja die Arbeitswelt bereits verändert. Diese Nachhaltigkeit wird sicher spürbar sein. Einerseits haben wir einen absoluten Crashkurs im Digitalen gemacht. Das heißt, wir haben im Grunde über Nacht ganz neu gelernt, mit technischer Infrastruktur klarzukommen und damit zu arbeiten.
Herr Gatterer, es ist überall von der „Welt nach Corona“ die Rede, auch von der „neuen Normalität“. Ist da Übertreibung im Spiel? Steht für Sie wirklich fest, dass die Arbeitswelt nach Corona eine andere sein wird?
Harry Gatterer: Corona hat ja die Arbeitswelt bereits verändert. Diese Nachhaltigkeit wird sicher spürbar sein. Einerseits haben wir einen absoluten Crashkurs im Digitalen gemacht. Das heißt, wir haben im Grunde über Nacht ganz neu gelernt, mit technischer Infrastruktur klarzukommen und damit zu arbeiten. Und da geht es jetzt nicht nur um Homeoffice, das sich in Zukunft als breitere Option etablieren wird, sondern auch um die grundsätzliche Frage: Wo braucht es die menschliche Begegnung im physischen Sinn – und wo nicht? Da geht es nicht nur um Büro-Arbeitsplätze, sondern beispielsweise auch um einen Hotelbetrieb: Gäste kommen, ja. Aber die Frage ist: Bleibe ich mit diesem Hotel in Kontakt, wenn ich gerade nicht auf Urlaub bin? Das heißt, gibt es für mich als Gast die Möglichkeit, mittels Webinaren beispielsweise auch unterjährig Teil dieses Hotelerlebnisses zu sein? Ich bin überzeugt, dass das passieren wird. Es erfordert aber auch für einen Betrieb eine neue Qualität an Arbeitsweisen, an Ideen, an technischer Umgebung. Auf viele Arten werden wir also spüren, dass die Arbeitswelt anders ist und sein wird als noch vor Corona.
Wenn sich die Arbeitswelt also unwiderruflich durch Corona ändern wird – was bedeutet das für Unternehmen? Worauf sollten sie sich einstellen? Wie können sie diese neue Situation angehen?
Gatterer: Fest steht zunächst einmal: Es ist eine der unternehmerischsten Zeiten schlechthin.
Warum?
Gatterer: Weil durch den Shutdown Strukturen gestört worden sind, die man nicht einfach wieder hochfahren kann. Das bringt uns dazu, dass viel mehr Kreativitätsräume entstehen, dass man neue Dinge im wahrsten Sinne des Wortes unternehmen kann. Wenn es so etwas wie einen Ratschlag für Unternehmer in der jetzigen Zeit gibt, dann den: Es braucht maximale Kreativität. Jetzt geht’s zuerst einmal darum, dass man überlegt: Mit wem habe ich noch nie zusammengearbeitet? Welche Möglichkeiten ergeben sich, wenn ich mein bestehendes Geschäft erweitere?
So schlüssig das alles klingt: Aber ist es jetzt, in diesen unabsehbaren Zeiten, für Unternehmer überhaupt zumutbar, geschweige denn realistisch, langfristig zu planen? Ist man als Unternehmer momentan nicht zur Kurzfristigkeit verdammt? Corona hat doch nicht zuletzt eine unheimliche Fragilität unserer Wertschöpfungskette offenbart …
Gatterer: Ganz umgekehrt! Genau jetzt muss ich ja langfristig denken! Natürlich, als Unternehmer brauche ich eine hohe Anpassungsfähigkeit, und um diese Anpassungsfähigkeit zu gewährleisten, brauche ich eben genau langfristiges Denken. Wenn ich das nicht habe, dann passe ich mich zwar die ganze Zeit an, aber powere mich dabei doch nur aus, weil ich weder weiß, wofür, noch, wohin. Natürlich mag es sich antizyklisch anfühlen, jetzt zu investieren. Aber was ich jetzt brauche – und das ist ja Unternehmertum per se! –, ist der Mut, eine Vorstellung der Zukunft zu entwickeln, die langfristig ist – und mich auf den Weg dorthin zu machen. Man spricht diesbezüglich ja gemeinhin auch vom Begriff der Vision. Das schließt übrigens nicht aus, dass man sich in den kommenden Monaten sehr beweglich vorbereiten muss. Man weiß ja nicht, kommt eine zweite Welle, ja oder nein? Der Großteil der Unternehmer bereitet sich bereits auf dieses Szenario vor.
Ist das so?
Gatterer: Es ist unglaublich, ja. Im Moment ist das ein wirklich sehr weit verbreitetes Vorgehen. Viele Unternehmen sagen: Man geht von einer zweiten Welle aus, bereitet sich darauf vor – im Sinne eines Szenarios, natürlich. Und wenn sie nicht kommt, dann umso besser, aber man ist vorbereitet. Aber das alleine ist natürlich als Gesamtstrategie zu kurz gegriffen. Weil die eigentliche Frage für ein Unternehmen ist ja nicht: Wie komme ich über den Winter? Sondern: Wie kann ich diese Zeit, in der ich hochgradig flexibel sein muss, bestmöglich nutzen, um langfristig im Spiel zu bleiben? Nur so bleibt ein Unternehmen nicht nur am Leben, sondern macht auch einen Fortschritt.
Man gewinnt den Eindruck, im Zuge der Corona-Krise ist nicht nur der ökonomische Blick flächendeckend geschärft worden, sondern auch unser Verständnis für das, was Kultur oder zumindest kulturell ist. Wird sich dieses neue Bewusstsein auf die Gastronomie auswirken – und wenn ja, wie?
Gatterer: Ich würde dem noch eine andere Perspektive hinzufügen. Denn was jetzt passiert, ist, dass Hintergründiges vordergründig geworden ist. Plötzlich geht’s also um die Helden des Alltags wie Supermarktverkäufer, die man bislang ja durch Roboter austauschen wollte. Jetzt ist es mit der Gastronomie ja so, dass sie einem riesigen Unterhaltungstrend zum Opfer gefallen ist. Die Gastronomie war also bisher nicht dem Kulturgut zugeschrieben, sondern dem Unterhaltungssektor. Deswegen ist sie diesen Weg auch so massiv mitgegangen und hat sich selbst zum Teil der Unterhaltungsindustrie gemacht. Das hat ja auch funktioniert. Nur ist es jetzt ein heikles Spiel zu sagen: Wir sind jetzt plötzlich nicht mehr Teil der Unterhaltungsindustrie, sondern wir sind jetzt ein Kulturgut.
Ist das falsch?
Gatterer: Natürlich kann man es so sehen. Es ist Teil der Kultur einer Gesellschaft, die den öffentlichen Raum nutzt. Aber es ist eine harte Gratwanderung. Weil: Sich jetzt quasi durch die Hintertür zum systemrelevanten Kulturgut zu machen, ist ein interessantes Spiel. Ich glaube einfach, dass momentan stark darüber nachgedacht wird, was substanziell wichtig ist und was nicht, das unterscheidet sich jetzt plötzlich. Und genau das wird man in den kommenden Wochen und Monaten auch in der Gastronomie sehen. Da wird sich zeigen: Welche gastronomischen Einrichtungen können die kulturelle Aufgabe der Vergemeinschaftung, des Austauschs tatsächlich halten? Und welche sind einfach nur reine Unterhaltung und werden es womöglich deswegen nicht schaffen? Denn reine Unterhaltungsindustrie, die wird sich neu justieren.
Möglich also, dass sich die Gastronomie mit dem selbst initiierten Diskurs, ein substanzielles Kulturgut zu sein, etwas eingebrockt hat, das sie in der Post-Corona-Zeit umso deutlicher wird rechtfertigen müssen?
Gatterer: Genau, sie befindet sich jetzt in einem ethischen Grenzgang. Weil plötzlich zu sagen: Wir sind ja die Wirtshauskultur! Kann man ja machen, nur: Ich kenne nicht allzu viele gastronomische Betriebe, die reine Wirtshäuser sind. Viele Betriebe sind halt Inszenierungstempel und Unterhaltungseinrichtungen. Das ist ja auch gar nicht schlecht. Ich sage nur: Wenn man diese Diskussion anzündet, muss man sich genau überlegen, was man da tut. Und das ist, glaube ich, nicht passiert. Man hat stattdessen sehr schnell eine moralische Keule ausgepackt. Und momentan ist meines Erachtens nicht die Zeit, moralisch zu sein, sondern ehrlich. Man muss sich also auch fragen: Auf welche Art von Gastronomie wird man in Zukunft womöglich verzichten müssen? Das ist sicherlich noch nicht vorbei, dieser gastronomische Kampf, der durch Corona initiiert worden ist. Der wird sicher noch seine Spuren ziehen.