Die unsichtbare Fine-Dining-Revolution im 2-Sterne-Restaurant Mugaritz
Genau an der Grenze zwischen den Städten Errentería und Astigarraga, im Baskenland an der Nordküste Spaniens, steht seit 200 Jahren eine Eiche. Darunter steht ein Häuschen, das unscheinbar wirkt – aber jedem ein Begriff ist, der sich mit der modernen gehobenen Küche und ihrer Geschichte beschäftigt.
Es beherbergt seit seiner Gründung im Jahr 1998 das Restaurant Mugaritz. Mehr als nur ein Restaurant: Es ist die Verkörperung kulinarischer Innovation. Denn jedes Jahr schließt es für mehrere Monate – von Ende November bis zum Saisonstart im Frühling – seine Türen für Gäste und verwandelt sich in ein Forschungslabor, in dem an Gerichten für die jeweils nächste Saison getüftelt wird.
Genau an der Grenze zwischen den Städten Errentería und Astigarraga, im Baskenland an der Nordküste Spaniens, steht seit 200 Jahren eine Eiche. Darunter steht ein Häuschen, das unscheinbar wirkt – aber jedem ein Begriff ist, der sich mit der modernen gehobenen Küche und ihrer Geschichte beschäftigt.
Es beherbergt seit seiner Gründung im Jahr 1998 das Restaurant Mugaritz. Mehr als nur ein Restaurant: Es ist die Verkörperung kulinarischer Innovation. Denn jedes Jahr schließt es für mehrere Monate – von Ende November bis zum Saisonstart im Frühling – seine Türen für Gäste und verwandelt sich in ein Forschungslabor, in dem an Gerichten für die jeweils nächste Saison getüftelt wird.
Das gesamte Restaurant wird zur Forschungsküche.
Ramón Perisé erklärt uns das Prinzip „Mugaritz“
In diesem Jahr dreht sich das Menü um den Leitsatz „What is not seen“ („Was nicht gesehen werden kann“). Die Speisenfolge ist das Ergebnis eines langen Prozesses, den Chef Andoni Luis Aduritz gemeinsam mit seinem gesamten Team beschreitet. „Um kreativ zu arbeiten, braucht es ein Team, Zeit und Platz. Deshalb widmet sich das ganze Team der Kreativität, wenn wir im November das Restaurant schließen. Das ganze Restaurant wird zur Forschungsküche“, erklärt Ramón Perisé, Leiter des Research and Development (R&D) Teams das sich jährlich wiederholende Spiel.
Ideen kommen von allen
Perisé hatte nach seinem Abschluss in Lebensmitteltechnologie als Stagiaire im Mugaritz angeheuert und sich in den folgenden fünfzehn Jahren hochgearbeitet – eine typische Laufbahn, denn: „Hier beginnt jeder ganz unten.“
Das gibt neuen Teammitgliedern die Möglichkeit, sich mit den grundlegenden Abläufen und der Philosohie des Hauses vertraut zu machen. Gleichzeitig dient Mugaritz als Schule für Mitarbeiter:innen, die das, was sie dort lernen, niemals vergessen werden. Vor allem: Mut zu neuen Ideen. Und den Mut, auch die scheinbar abwegigste Idee zu äußern, und andere, wenn sie das tun, nicht dafür zu verurteilen.
Denn wie sonst kann es gelingen, jedes Jahr aufs Neue die Grenzen des bisher für möglich geglaubten zu sprengen, immer wieder Kompositionen und Zubereitungstechniken aus dem Hut zu zaubern, an die davor noch niemand gedacht hat?
Genau darin liegt der Kern von Aduriz‘ Philosophie: Im Vordergrund steht die Experimentierfreudigkeit. Da kann es auch passieren, dass Chef Andoni etwas Ungenießbares serviert wird. „Aber es ist sehr wichtig, zu spielen, und wenn du Grenzen überschreiten will, muss man es tun“, sagt Perisé. Und wenn Andoni dann, nüchtern und respektvoll, sagt: „No sé“ – ich weiß nicht –, dann ist für alle klar: Zurück zum Zeichenbrett.
Gleichzeitig sind die rund hundert Gerichte, die in der Research-Phase des Restaurants entstehen, nicht bunt zusammengewürfelt, sondern inhaltlich kohärent und minutiös durchdacht. Etwa ein Gericht, das entstand, nachdem das Team wieder einmal nach Japan gereist war. Inspiriert von der reichen Teekultur des Landes suchte Perisé nach einer Möglichkeit, aus ganzen Teeblättern einen Behälter zu fertigen, in dem Dashi-Brühe serviert wird.
„What is not seen“
„Es gibt keine einheitliche Methodologie der Kreativität“
Das Resultat, genannt „Tee mit Tee“, hat es nach dem Auswahlprozess in das aktuelle Menü geschafft. Lässt sich aus diesem Beispiel eine kreative Methode ableiten?
„Es gibt keine einheitliche Methodologie der Kreativität, wie man vielleicht meinen würde“, stellt Perisé fest. „Wir sind in drei Teams aufgeteilt. Eines arbeitet mit Javier Vergara, eines mit Julián Otero und eines mit mir. Und jeder von uns hat eine andere Herangehensweise, verfolgt andere Wege, um ans selbe Ziel zu kommen.“
Nachhaltigkeit durch Hausverstand
Und welche Rolle spielt Nachhaltigkeit im Entwicklungsprozess bei Mugaritz? Hier holt Perisé weiter aus: „Wenn wir über Nachhaltigkeit in der Gastronomie sprechen, müssen wir genauer sagen, über welche Art von Nachhaltigkeit wir sprechen: über die menschliche Nachhaltigkeit oder die Nachhaltigkeit der Produkte.“ Per Definition, sagt er, seien Restaurants wie Mugaritz nicht nachhaltig. Wie auch, wenn mehr als 70 Personen dafür arbeiten, pro Seating 40 Gäste zu bedienen? „Wir müssen hart arbeiten, nachhaltig zu sein. Sonst würde sich das Konzept wirtschaftlich nicht rechnen. Nachhaltigkeit steht bei der Ideation des Menüs nicht im Vordergrund, aber wir verwenden Hausverstand.“
Wenn ein Rezept verlangt, dass von einem ganzen Fisch nur ein kleiner Muskel verwendet wird, oder ein Gericht in der Herstellung zu lange dauert, muss eingegriffen werden. „Nachhaltigkeit ist oft ein Wort, das als Marketingwerkzeug verwendet wird“, sagt Perisé. „Aber Nachhaltigkeit ist eine Frage der Komplexität. Und Komplexität bedeutet, dass es keine kausale Beziehung zwischen den Elementen des Systems gibt. Wenn man etwas im System berührt oder verändert, können sich alle anderen Elemente auf unvorhersehbare Weise verändern.“
Mugaritz ist ein Ort, an dem durch ständige Neuerfindung der Grundstein für die Zukunft der Gastronomie gelegt wird. Nicht nur dadurch, dass hier Techniken und Gerichte entstehen, die einen großen Einfluss auf künftige Generationen haben werden. Auch durch die interdisziplinäre Forschung, die das Team kontinuierlich betreibt, die Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Einrichtungen und den Mut, niemals stillzustehen.
In einem viertel Jahrhundert haben Andoni Luis Aduriz und sein Team mehr geleistet, als sich hier aufzählen lässt – nicht umsonst ist die Liste der wissenschaftlichen und künstlerischen Publikationen, die aus der Arbeit unter dem Dach dieses Hauses hervorgegangen sind, enorm lang. Es bleibt nur abzuwarten, was in den nächsten 25 Jahren passiert.