Von essbaren Hunden, verbotenen Vögeln und großen Legenden
Natürlich war es für viele von uns nicht die erste Rolling Pin.Convention. Und doch: Ein bisschen nervös waren selbst die, die bisher keine Ausgabe des mittlerweile größten Gastro-Symposiums im deutschsprachigen Raum verpasst haben. Der Grund: Düsseldorf.
Ja, zum ersten Mal fand die Rolling Pin.Convention Germany nicht in Berlin, sondern dank des leidenschaftlichen Engagements der Stadt Düsseldorf und der METRO in der ausgesprochen charmanten Stadt am Rhein statt. Tja, die Arena Berlin wurde halt einfach zu klein für all das, was da passiert. Und das sollte in Düsseldorf wieder jede Menge sein: Heston Blumenthal, Eduard Xatruch, Heinz Reitbauer, Jan Hartwig, Tim Mälzer – alle würden sie in den nächsten 36 Stunden hier auf der Bühne stehen, im Areal Böhler im Stadtteil Büderich, und diesen Ort erstmals zum Epizentrum des internationalen Gastrogeschehens machen. Also, auf ins Geschehen!
Natürlich war es für viele von uns nicht die erste Rolling Pin.Convention. Und doch: Ein bisschen nervös waren selbst die, die bisher keine Ausgabe des mittlerweile größten Gastro-Symposiums im deutschsprachigen Raum verpasst haben. Der Grund: Düsseldorf.
Ja, zum ersten Mal fand die Rolling Pin.Convention Germany nicht in Berlin, sondern dank des leidenschaftlichen Engagements der Stadt Düsseldorf und der METRO in der ausgesprochen charmanten Stadt am Rhein statt. Tja, die Arena Berlin wurde halt einfach zu klein für all das, was da passiert. Und das sollte in Düsseldorf wieder jede Menge sein: Heston Blumenthal, Eduard Xatruch, Heinz Reitbauer, Jan Hartwig, Tim Mälzer – alle würden sie in den nächsten 36 Stunden hier auf der Bühne stehen, im Areal Böhler im Stadtteil Büderich, und diesen Ort erstmals zum Epizentrum des internationalen Gastrogeschehens machen. Also, auf ins Geschehen!
Dass das Areal Böhler um so viel größer ist als die Vorgänger-Location, davon ist kurz, bevor die Eröffnungszeremonie losgeht, gar nicht so viel zu spüren. Einfach, weil auch dieses Mal der Zuschauersaal vor Menschen überquillt, die aus allen Ecken des deutschsprachigen Raums angereist sind. Die meisten wissen zwar, dass in wenigen Momenten Max Stiegl die Bühne betreten wird. Was es aber mit den toten Vögeln auf der Küchenzeile in der Mitte der Mainstage auf sich hat, verstehen auf den ersten Blick die wenigsten.
Liegt wohl auch daran, dass das burgenländische Enfant terrible der österreichischen Gastronomie seinem Auftritt den verstörenden Titel „Warum nicht mal Hund?“ gegeben hat. Mit seiner entwaffnenden Nonchalance klärt Max Stiegl gleich zu Beginn seiner Performance auf: Ja, er hat Hundefleisch mit, das gibt’s dann auch zu verkosten.
Aber: „Erstens bin ich persönlich etwas enttäuscht von diesem Fleisch, weil’s einfach nicht nach viel schmeckt – und zweitens finde ich Schnepfen und Wachteln einfach spannender.“
Womit auch die Frage nach den Vögeln, die da teilweise noch in der ganzer Federpracht liegen, geklärt wäre. Wobei: Max Stiegl wäre nicht Max Stiegl, wenn sich nicht mit jedem Satz, den er von sich gibt, neue Fragen ergäben. Wie zum Beispiel: Warum ausgerechnet Schnepfen und Wachteln hier nach Düsseldorf mitnehmen?
Auch diese Antwort bleibt Stiegl nicht lange schuldig. Sie ist es auch, die zeigt, worum es Stiegl als Koch jenseits provokanter Bonmots wirklich geht. „Ich verstehe nicht“, sagt er, und jetzt ist das spitzbübische Grinsen vollends aus seinen Gesichtszügen verschwunden, „warum in Österreich Waldschnepfen und Wachteln außerhalb der Brutzeit geschossen, aber nicht gegessen werden dürfen. Das ist doch respektlos gegenüber dem Tier und alles andere als nachhaltig! Warum sollte man etwas erlegen, aber nicht verwerten dürfen? Wenn man ein Tier erlegt, dann sollte man es nicht wegschmeißen. Das hat etwas mit Respekt zu tun.“
Wer bist du? Was zeichnet dich aus? Das ist wichtiger als jeder Stern!
Elif Oskan über ihre ganz persönlichen Prioritäten als Chefin und Gastronomin
Es sind augenöffnende Momente wie diese, die uns in den kommenden zwei Tagen immer wieder verblüffen, verstören, erstaunen – kurz: auf mannigfaltigen Ebenen bereichern werden.
Anderes Beispiel: Die Cooking Demonstration von Eduard Xatruch. Der Mastermind aus dem Disfrutar in Barcelona, das dieses Jahr von der renommierten World’s 50 Best Restaurants-Liste zum besten Restaurant der Welt gekürt wurde, zeigt, warum Foodies aus aller Welt in die katalanische Hauptstadt kommen: Mit Kreationen, die auch nach der Hochzeit der sogenannten Molekularküche bei den Gästen für Staunen sorgen und mit Texturen, Temperaturen und kulinarischen Traditionen spielen, wie man es in dieser Virtuosität so gut wie nirgends bekommt.
Was das Geheimnis hinter den besten Gerichten des Disfrutars ist, zeigt Xatruch beispielsweise anhand eines der ikonischsten Gerichte seines Restaurants: Dem Aspik aus Mais-Bällchen, die innen flüssig sind. Multiesferificación heißt das Zauberwort, das Gäste und Aggregatzustände in andere Sphären versetzt. „In einem einzigen Bissen hat man die Knusprigkeit des Karamells, die Cremigkeit der Foie gras und die Flüssigkeit der Maisbällchen“, erklärt der ehemalige El-Bulli-Schüler, der beim revolutionärsten Koch seiner Generation, bei Ferran Adrià im legendären El Bulli, gelernt hat.
Kein Wunder auch, dass Xatruch im Disfrutar immer wieder Grenzen auslotet. Das wird auch bei einer anderen Kult-Kreation klar: der Fake-Olive. Die besteht aus einer olivenartigen Sphäre, die beim Verzehr aufplatzt und einen hochintensiven, umamiartigen Geschmack freisetzt.
„Das Spiel mit den Erwartungen an Geschmäcker wird immer einen bestimmten Reiz haben, wenn man es richtig macht“, sagt Xatruch und straft damit all jene Lügen, die seit Jahren den Tod der Molekularküche beschwören. Und: „Eigentlich ist jede Küche molekular“, schließt der chemieaffine Herdzauberer. Nach dem langen Applaus und den Standing Ovations überlegen wir, kurz einen Sprung bei der School of Wine vorbeizuschauen.
Aber wir bleiben schließlich doch hier, um uns das nächste internationale Highlight zu gönnen und den beiden Gastro-Shootingstars aus Zürich zu lauschen: Elif Oskan und Markus Stöckle. Beide teilen auf der Bühne auf erfrischend ruhige und gesetzte Weise ihre inspirierende Geschichte – und ihre ganz persönliche Vision von Gastronomie.
Zum besseren Verständnis: Elif Oskan zelebriert in ihrem Restaurant „Gül“ auf ziemlich aufsehenerregende Art und Weise die türkische Küche neu, mit der sie als Tochter türkischer Eltern aufgewachsen ist. Ihr Lebensgefährte Markus Stöckle – den sie übrigens während ihrer Zeit bei Heston Blumenthal im „Fat Duck“ kennengelernt hatte – spürt in seinem nicht minder erfolgreichen Restaurant „Rosi“ seinen bayerischen Wurzeln nach.
„Wir haben immer gesagt: Wir entscheiden uns für Menschen. Wir sind Menschen und möchten mit Menschen für Menschen kochen“, erklärt Oskan. „Das ist der Fokus und dabei bleibt es auch. Man kann sich für einen anderen Weg entscheiden – zum Beispiel ein französisch inspiriertes Restaurant eröffnen und darauf hinarbeiten, von den großen Guides mit einem oder zwei Sternen ausgezeichnet zu werden.
Es gibt klare Rezepte, wie man das erreicht. Aber: Was macht dich dann wirklich eigenständig? Wer bist du? Darum geht es uns vielmehr.“ Starke Worte in einer Branche, die gerade harte Zeiten durchmacht. Entsprechend groß ist der Applaus – und nach diesem furiosen Auftritt bei uns mittlerweile auch der Durst. Also tun wir es der Kollegin von vorhin gleich – und schlendern einmal in Richtung School of Wine.
Security für das Flaschenaufgebot des Jahres
Auf dem Weg dorthin stellt man zwar fest: Gemessen an der Schrittzahl braucht man von Bühne zu Bühne hier in Düsseldorf tatsächlich etwas länger als in Berlin, doch das Schlängeln durch die Menschenmassen macht mindestens genauso viel Spaß wie in der Bundeshauptstadt. Auch, weil die meisten unter uns hier ein bekanntes Gesicht nach dem anderen sehen – und so ein Weg zu einem einzigen Begrüßungs- und Umarmungsfest werden kann.
Von Weitem sehen wir Tim Mälzer, der hier offenbar eine kleine Runde dreht, um sich von den vielen Ausstellern inspirieren zu lassen, und auch „Gastroflüsterer“ Kemal Üres wird gesichtet – er steuert zielsicher der NUTS.Stage entgegen. Dort spricht das Social-Media-Phänomen mit gut einer Million Followern nämlich gleich darüber, wie Gastronomen Social Media wirklich für sich nutzen können – und wie er selbst seine mediale Präsenz nutzt.
Aber zurück zum Eigentlichen: der School of Wine. Was, bitte schön, ist denn hier los? Der Wert all dieser Flaschen, aus denen in der Wine-Area rund um den Lobenberg-Stand verkostet wird, ist doch mindestens fünfstellig! Kein Wunder, dass hier eigene Securities ein Auge auf die prestigeträchtigen Flaschen haben – eine öffentliche Verkostung solcher Tropfen hat es auf einer Messe wohl noch nie gegeben!
Auf der School of Wine-Stage wird gerade etwas ganz Exklusives verkostet: Unter dem Motto „Saumur-Champigny im Wandel der Zeit“ zeigt Sommelier und Lobenberg Wine-Scout Elias Schlichting, wie sich die einzelnen Jahrgänge von Clos Rougeard und Château Yvonne voneinander unterscheiden: „Das ist Cabernet Franc in seiner schönsten und beeindruckendsten Ausprägung“, so Schlichting und sorgt beim Publikum für enthusiastischen Beifall.
Auch der Host der diesjährigen School of Wine, die Sommelier-Legende Gerhard Retter, wähnt sich hier sichtlich im Schlaraffenland – und zeigt gemeinsam mit renommierten Kolleginnen und Kollegen wie etwa Nancy Grossmann – der letztjährigen Nummer eins der 50 Best Sommeliers Germany – den beiden Starsommeliers aus der Berliner Weinbar „Freundschaft“ Willi Schlögl und Johannes Schellhorn oder Söl‘ring Hof-Sommelière Bärbel Ring, was die neuesten Trends in der internationalen Weinwelt sind.
Klassische Erwartungshaltungen zu hinterfragen ist das, was uns antreibt!
Eduard Xatruch beweist, dass die totgesagte Molekularküche lebendiger ist als je zuvor
Von „Sherry – die Sonne Andalusiens mit kleinen Schätzen“ bis hin zum absoluten Highlight, der Roederer-Cristal-Verkostung, zeigt die School of Wine-Stage, warum sie in diesen zwei Tagen der unbestrittene Mittelpunkt Wein-Deutschlands ist.
Jetzt aber ab zur NUTS-Stage, zu Kemal Üres und seine Geschichten aus dem Social-Media-Nähkästchen.
Zehn Vollzeitstellen für Social Media
Was also gilt es als Gastronom zu beachten, um Social Media sinnvoll für sich zu nutzen? „Grundsätzlich sollte man die drei Cs beachten“, erklärt Üres, der seit Corona die Gastro-Bubble auf Social Media ordentlich aufwirbelt. „Diese drei Cs sind: Content, Community und Consistency.
„Das heißt, du musst wissen, für wen mach ich was. Du musst einen inhaltlichen Mehrwert liefern für eine ganz bestimmte Zielgruppe – und versuchen, möglichst in dieser Zielgruppe zu bleiben. In Sachen Community musst du, wie im echten Leben, dich auch für die Kollegen interessieren. Dort mal was liken, dort was kommentieren, in den Austausch treten!“
Das Wichtigste für Üres ist aber das Themenfeld der Consistency. Hier blitzt auch der erprobte Unternehmer in ihm durch: Dranbleiben, auch wenn am Anfang die Klickzahlen nicht sofort in die Höhe schießen. Hartnäckigkeit wird auch in der Social-Media-Welt belohnt.
„Wir sind für alle ‚Gastroflüsterer‘-Accounts mittlerweile zehn Leute auf Vollzeitbasis im Team, das braucht es auch. Weil jeder Kanal anders ist, die Algorithmen ändern sich auch immer wieder, die Aufmerksamkeitsspanne wird, soweit wir das beobachten, noch kürzer als vor drei oder vier Jahren, und überhaupt ist guter Content aufwendig zu produzieren.“
Was Üres jenseits der hohen Followerzahlen besonders stolz macht: „Dass wir die Nische nie verlassen haben. Ich könnte noch viel mehr Follower haben, wenn ich mich thematisch breiter aufstellen würde, aber mein Ziel war von Anfang an, Inhalte für meine Gastro-Kollegen zu machen – und nur für sie. Und das machen wir bis zum Gehtnichtmehr!“
Wie radikal und kompromisslos man – oft auch zu sich selbst – sein muss, das zeigen wenig später zwei andere Kapazunder. Und das jeder auf seine eigene, ganz persönliche Art und Weise. Beginnen wir mit Emile van der Staak aus Nijmegen in den Niederlanden. Sein Restaurant De Nieuwe Winkel gilt nicht nur als wegweisende Institution der „New Dutch Cuisine“, es wurde auch mit zwei Michelin-Sternen, einem Green Star und mit dem Titel „Best Vegetable Restaurant in the World“ vom We’re Smart Green Guide ausgezeichnet.
„Als das Eleven Madison Park unter Daniel Humm ankündigte, vegan zu werden, blieb auch bei uns kein Stein mehr auf dem anderen“, so van der Staak, der sich schon lange vor Daniel Humms Ankündigung für pflanzenbasierte Küche interessierte. „Unsere Küche war zwar damals schon hauptsächlich vegetarisch, aber von da an entschieden wir uns, gänzlich auf tierische Proteine zu verzichten.“ Wie? „Unsere Antwort ist die botanische Gastronomie“, erklärt van der Staak.
Und meint damit seine immer engere Zusammenarbeit mit der regionalen Landwirtschaft. „Mit unseren biologisch wirtschaftenden Bauern, die in Zusammenarbeit mit uns neue Produkte anbauen, können wir mittlerweile auf eine unglaubliche Vielfalt zurückgreifen – alleine 44 Apfelarten haben wir zur Verfügung!“, so Staak.
Humm habe nochmals klar gemacht, dass Köche eine unglaublich große Verantwortung für die Zukunft dieses Planeten haben, so Staak. Und: „Konkurrenz zwischen Köchen hat manchmal auch etwas Gutes, man pusht sich gegenseitig, so wie es Humm mit vielen von uns gemacht hat!“
Einer, der in Deutschland immer wieder die ganze Branche pusht, ist der andere Kapazunder, der kurz darauf die Chefs.Stage betritt: Jan Hartwig hat mit seinem Münchner Restaurant „Jan“ gezeigt, dass man auch ohne Großinvestor im Rücken drei Sterne kochen kann. Im eindrucksvollen Talk mit dem Titel „Warum jede Küche eine eigene Philosophie braucht“ verriet er dem Publikum viel über seine Überzeugungen und Erfolgsgeheimnisse.
„Natürlich ist die Wandlung vom Koch zum Unternehmer nicht die Einfachste, aber du lernst damit noch mehr, was dir als Koch hinter dem Herd wirklich wichtig ist“, so Hartwig.
Und das wäre? „Ich lege Wert auf rigides Handwerk, auch wenn es seinen Preis hat. Bei mir wird ein Geflügel an der Karkasse gebraten, ein Fisch kommt in die Pfanne, wird pochiert oder confiert und überhaupt: Bei uns gibt’s einfach authentische Garmethoden. Und keine Plastikbeutel, die einfach in temperiertes Wasser geschmissen werden!“
Jetzt aber heißt es: Kopf auslüften! Zum Beispiel beim Stand von Visit Flanders, wo mit Hendrick Dierendonck einer der schillerndsten Metzger und Fleischexperten Europas belgische Charcuterie sowie Rinds- und Schweinecuts zum Verkosten anbietet, über die früher oder später jeder auf der Convention spricht. Weiter geht’s dann einen Sprung zur Masterclass-Bühne, wo es ziemlich fischig zugeht: Heiko Antoniewicz hat gerade seine Cooking Demonstration über die Rehabilitation des immer noch zu Unrecht verschmähten Herings beendet, da scharrt schon sein Kollege Mario Lohninger in den Startlöchern.
Der gebürtige Österreicher, der in Frankfurt sein nach ihm benanntes Restaurant zu einer der besten Adressen der Stadt etabliert hat, macht sich zusammen mit seinem Team nun an sein Sashimi aus Yellowfin Tuna. Asiatisch inspirierte Marinade inklusive. Dass hier lauter bekannte Gastro-Gesichter Herrn Lohningers Soulfood-Skills bestaunen wollen, verwundert nicht weiter: Dieses Sashimi gehört einfach zum Besten, was so eine Masterclass hervorbringen kann. So, aber jetzt ab zum Foodlab, wo wir erfahren möchten, was es mit multikultureller Küche und sozialer Verantwortung wirklich auf sich hat.
Daniel Humm hat gezeigt: Konkurrenz unter Köchen kann auch sinnvoll sein!
Für Emile van der Staak vom besten veganen Restaurant der Welt war Daniel Humms Entscheidung, das Eleven Madison Park in London pflanzenbasiert werden zu lassen, ein Gamechanger.
Kochen als Integrationsturbo
Der Belgier Seppe Nobels gehört nicht nur zu den engagiertesten Köchen seiner Generation, sondern in vielerlei Hinsicht auch zu den inspirierendsten. Große Worte, zugegebenermaßen, aber der 42-Jährige mit Promistatus in Belgien liefert Antworten auf Fragen, die sich Gastronomen und Köche in so manchen Ländern nicht einmal zu stellen wagen.
Eine davon lautet: Wie kann man geflüchteten Menschen in Europa eine wirklich erfüllende Perspektive bieten? Und was kann die Gastronomiebranche dazu beisteuern? In seinem Restaurant im belgischen Mechelen, das mit etwas Understatement den bescheidenen Namen „Gasthuis“ – also Gasthaus – trägt, zeigt Nobels: Die Gastronomie, wie sie ihm selbst vorschwebt, hat das Potenzial, unsere Gesellschaft besser zu machen. Und wenn man es wie er macht, dann kann das sogar zu einen Michelin-Stern führen.
Nobels erklärt: „Nachhaltigkeit ist für mich nicht nur auf einer physischen Ebene zu verstehen, wo es beispielsweise um den Bezug von regionalen, hochwertigen Lebensmitteln und zero Waste geht, sondern auch auf einer sozialen Ebene. Indem ich geflüchtete Menschen als wesentlichen Bestandteil meines Restaurants einbinde, versuche ich, eben jener sozialen Verantwortung, die ich als Koch im Jahr 2024 habe, so gut wie möglich nachzukommen.“
Konkret bedeutet das: „Ich besuche Asylheime und suche dort nach den echten Foodies – und glaubt mir, davon gibt es dort einige. Im „Gasthuis“ erhalten sie eine sechsmonatige Ausbildung der klassischen Küche – vor allem aber bringen sie ihre eigenen Kulinariktraditionen, Techniken und Geschmackswelten mit. Daraus ergibt sich eine Küche, die einzigartig ist, weil wir diese mit hochwertigen Produkten aus der Region kombinieren können.“
Bestes Beispiel: Das Panipuri von Sandip Patel, der 2021 als politischer Flüchtling im „Gasthuis“ begann. Der indische Klassiker besteht in diesem Fall traditionsgemäß aus einer hohlen Teighülle aus Weizenmehl, die kross frittiert wird – doch bei der Fülle, die in Indien oft auf Kartoffelbasis ist, kann man sich in Mechelen vor allem mit Meeresfrüchten austoben. „Wir nehmen in diesem Fall Krabbenfleisch aus der Nordsee, saisonales Gemüse und spielen gerne mit etwas mehr Säure als in der indischen Küche“, erklärt Patel, der mittlerweile übrigens Restaurantleiter im „Gasthuis“ ist.
Warum darf man ein Tier töten, aber nicht verwerten? Das ist idiotisch!
Max Stiegl ärgert sich über eine Gesetzgebung, die es offiziell gestattet, Wachteln und Schnepfen zu schießen, nicht aber zu verkochen
In Mechelen gibt es außerdem, wie Nobels betont, viele andere Gerichte aus derzeitigen Konfliktregionen, die zeigen, wie sehr Essen scheinbar so unterschiedliche Kulturen zusammenhält: ukrainischer Borschtsch mit Roter Bete beispielsweise, oder al dente-Spargel mit palästinensischem Moussaka aus Pilzen und Sumach mit Zitronen-Thymian-Mousse und Petersilienwurzel-Pommes. „Ganz ohne Pommes geht es natürlich auch bei uns nicht“, schließt Nobels, ganz Belgier, seinen Auftritt augenzwinkernd.
Wo das Bleibende zelebriert wird
In der Zwischenzeit hat sich die Mainstage zu einem der ergreifendsten Orte der Convention entwickelt. Warum? Weil es hier mit den ersten Siegerehrungen losgegangen ist – und diese haben es, das spürt man im heillos überfüllten Zuschauerraum mit jeder Faser, mehr denn je in sich. Nicht nur, weil wir hier Granden zu Gesicht bekommen, die die Gastronomie und die Art, wie heute gegessen und gekocht wird, für immer verändert haben.
Sondern auch, weil damit eines klar wird: So schnelllebig die heutige Zeit auch sein mag, es gibt sie dennoch, diese Menschen, die mit ihrer Leidenschaft Bleibendes schaffen. Ja, man erwischt sich schon dabei, wie man sich selbst kurz die Augen reibt, wenn Heston Blumenthal den Award für den „Inspiration Chef of the Century“ verliehen bekommt.
„Ich bekomme dabei selbst Gänsehaut, um ehrlich zu sein“, so die britische Koch-Ikone, die in ihrem legendären „Fat Duck“ in Berkshire die Art und Weise, wie wir Essen wahrnehmen, für immer verändert hat.
Ebenso surreal dann der Auftritt von Marc Haeberlin: Seit fast 50 Jahren prägt er die Küche jenes Restaurants, das Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann einmal als wichtigste Station seines Lebens bezeichnet hatte: das „L’Auberge de L’Ill“ im elsässischen Illhaeusern. Besonders rührend dabei: die Laudation seines guten Freundes und Weggefährten Otto Koch, der in den 1970er-Jahren die deutsche Gastronomie selbst revolutioniert hatte.
„Vom Menü, das ich Ende der 1960er-Jahre im Hause Haeberlin gegessen habe, erinnere ich mich bis heute an jeden einzelnen Gang“, sagt Koch und treibt damit nicht nur sich selbst Tränen in die Augen. Wie bleibend, ja geradezu zeitlos Marc Haeberlins Küche ist, wird auch nach der Verleihung deutlich: Newcomer of the Year Rosina Ostler vom Alois in München schildert dem gerührten Preisträger, wie prägend die Erinnerung an das Essen, das sie gemeinsam mit ihrer Familie in der „Auberge“ gehabt habe, für sie bis heute noch sei.
Gastronomie hat das Potenzial, die Gesellschaft besser zu machen!
Belgiens Sozial-Pionier und Spitzenkoch Seppe Nobels
Und überhaupt haben erstaunlich viele Speaker dieses Jahr ein Buch dabei: Eines jener Standardwerke der elsässischen Küche, in denen Marc Haeberlin seine Klassiker wie „La Mousseline de Grenouilles“ – also Froschschenkelschaum – oder „Saumon Soufflé“ – Lachs mit Hechtfleisch-Soufflé – festgehalten hat. Auf einem Stapel liegen einige dieser Bücher Backstage, wo Haeberlin sie in Kürze alle signieren wird. Eines davon gehört übrigens Tim Mälzer. Der Mann weiß halt einfach, was wirklich gut ist.
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DIE ROLLING PIN.CONVENTION GERMANY
Zum ersten Mal fand die Rolling Pin.Convention Germany nicht in Berlin, sondern in Düsseldorf statt. Neben Legenden wie Heston Blumenthal verrieten 70 Speaker aus elf Nationen auf fünf Bühnen, was in der kulinarischen Welt gerade angesagt ist – oder bald Trend sein wird. An den mitreißenden Keynotes, Masterclasses, Talks und Cooking Demonstrations nahmen über 7000 Besucher teil. Dieses Gesamtpaket macht die Rolling Pin.Convention zum größten derartigen Symposium im deutschsprachigen Raum!
www.rollingpinconvention.com